Manfred Overmann
(Das vorliegende unveröffentlichte
Manuskript sollte ursprünglich in unsere bei Peter Lang 1993 erschienene
Dissertation Der Ursprung des
französischen Materialismus – Die Kontinuität materialistischen Denkens von der
Antike bis zur Aufklärung integriert werden und wird an dieser Stelle
elektronisch veröffentlicht)
Der Materiebegriff des dialektischen
Materialismus bei Marx, Engels und Lenin
1. Die Materie als primär Seiendes
1.1 Die Materie und ihr „Verschwinden“
1.2 Die Einheit von Materie und Bewegung
1.3 Das Bewusstsein als höchstes Produkt
der Materie
2. Die materialistische Dialektik
2.1 Das Gesetz von der Durchdringung der
Gegensätze
2.2 Das Gesetz des Umschlagens von
Quantität in Qualität und umgekehrt
2.3 Das Gesetz von der Negation der
Negation
2.3 Das Gesetz von der Negation der
Negation
3. Die Erkenntnistheorie des
dialektischen Materialismus
3.1 Das „Ding an sich“
4. Der historische Materialismus und
seine Geschichtsauffassung
1. Die Materie als primär Seiendes
Die
Materie ist das Primäre, das Bewusstsein das Sekundäre, das Abgeleitete; aber
wie ist diese Priorität der Materie zu verstehen? Ist sie, wie bei den Vorsokratikern, ein sinnlich wahrnehmbarer Urstoff, Wasser,
Luft oder Feuer, oder, wie in der demokriteischen
Atomistik, eine letzte unteilbare Ursubstanz in Form unsichtbarer Atome, auf
welche sich die objektive Welt reduzieren lässt?
Eine
Bejahung dieser Fragen würde den strengen dialektischen Charakter des marxistisch‑leninistischen
Materialismus sprengen, indem dem Materialismus ein metaphysisches Prinzip
zugrunde gelegt würde. Metaphysik und Dialektik sind aber für den Marxisten
zwei einander sich ausschließende Begriffe (1).
Für den
Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedankenabbilder, die Begriffe,
vereinzelte eins nach dem andern. und ohne das Andre zu betrachtende, feste,
starre, ein für allemal gegebene Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in
lauter unvermittelten Gegensätzen; seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was
darüber ist, das ist vom Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es
existiert nicht: Ein Ding kann eben so wenig zugleich. es selbst und ein andres
sein. Positiv und negativ schließen einander absolut aus; Ursache und Wirkung
stehen ebenso in starrem Gegensatz zueinander. Diese Denkweise scheint uns auf
dem ersten Blick deswegen äußerst einleuchtend, weil sie diejenige des so
genannten gesunden Menschenverstandes ist. Allein der gesunde Menschenverstand,
ein so respektabler Geselle er auch in dem hausbacknen Gebiet seiner vier Wände
ist, er lebt ganz wunderbare Abenteuer, sobald er sich in die weite Welt der
Forschung wagt; und die metaphysischen Anschauungsweise auf so weiten, je nach
der Natur des. Gegenstands ausgedehnten Gebieten sie auch berechtigt und sogar
notwendig ist, stößt doch jedes Mal früher oder später auch eine Schranke,
jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösliche
e Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren Zusammenhang,
über ihrem Sein ihr Werden und Vergehen, über ihrer Ruhe ihre Bewegung
vergisst, weil sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. (Engels XIX: 203)
Die
metaphysische Denkweise war geschichtlich jedoch durchaus begründet. Bevor man
die Natur in ihrem dialektischen Zusammenhang betrachten konnte, war es nötig,
die Naturvorgänge in verschiedenen Disziplinen gesondert zu untersuchen. Der
Fortschritt in den Naturwissenschaften ist gerade auf die Zerlegung der
Naturgegenstände in ihre Einzelteile zurückzuführen; allein es bleibt aus, den
Gesamtzusammenhang wieder herzustellen und die Materie in ihrem geschichtlichen
Gewordensein zu betrachten.
1.1 Die Materie und ihr „Verschwinden“
Die
wichtigsten und konkretesten Aussagen über den philosophischen und naturwissenschaftlichen
Begriff der Materie finden wir in der „Feuerbachschrift“ und in der „Dialektik
der Natur“ von Friedrich Engels und in der Schrift „Materialismus und
Empiriokritzismus“ von W.I. Lenin. Die Untersuchung des Materiebegriffs bei
Marx sowie sein philosophischer Materialismus überhaupt wirft hingegen
erhebliche Schwierigkeiten auf, da Marx den philosophischen Materialismus als
Voraussetzung für den dialektischen und historischen Materialismus in keiner
Schrift losgelöst von den historischen, d.h. den ökonomischen Verhältnissen und
Entwicklungsprozessen behandelt. Allein in der Auseinandersetzung mit den
französischen Materialisten in der „Heiligen Familie“ finden sich wichtige
kritische Äußerungen zur Abgrenzung des marxistischen Materialismus von seinen
Vorgängern und damit zur eigenen Standortbestimmungen (2).
Im
dialektischen Materialismus kann die Materie als Ursubstanz nicht vorkommen,
denn „die Anerkennung irgendwelcher unveränderlichen Elemente, eines
„unveränderlichen Wesen des Dinge“ usw. ist nicht Materialismus, sondern ist
metaphysischer, d.h. antidialektischer Materialismus.“ (Lenin XIV: 260) Aber
der dialektische Materialismus beansprucht auch nicht eine
„Ursprungsphilosophie“ zu sein. Bei Lukrez hatten wir bereits festgestellt,
dass in einem materialistischen System die Frage nach dem Anfang alles Seienden
gar nicht gestellt werden kann, da die Welt als eine von Ewigkeit her
prozesshaft seiende vorgestellt wird.
Woran
ist aber der Begriff der Materie zu binden, wie können wie ihn fassen, ohne der
Metaphysik zu verfallen und dennoch eine letzte Aussage machen, die von ewiger
Gültigkeit ist? Hören wir die Antworten Lenins und Engels: „[...] Die einzige
„Eigenschaft“ der Materie, an dessen Anerkennung der philosophische Materialismus
gebundne ist, ist die Eigenschaft objektive Realität zu sein, außerhalb unseres
Bewusstseins zu existieren.“ (Lenin XIV: 260) Und diese materielle Existenz des
Seienden, d.h. die Statuierung der Existenz der Außenwelt unabhängig von ihrem
Vorgestellt werden, ist dialektisch aufzufassen. Dabei ist der Begriff der
Materie als philosophische Kategorie (3) von dem naturwissenschaftlichen
Materiebegriff streng zu unterscheiden; denn während die Materie, definiert als
objektive Realität, nicht zeitbedingt ist, ändert
sich jedoch die Einzelstruktur materieller Systeme ständig (4).
Es
ist der besondere Verdienst Lenins, durch diese Differenzierung zwischen der
Materiestruktur und der Materie als objektiver Quelle unseres Wissens das
materialistische System im Zeitalter des Verschwindens der Materie“ verteidigt
und neu gefestigt zu haben. Der Materiebegriff wird nicht mehr an bestimmten
physikalische und experimentell nachweisbare Strukturauffassungen der Materie
gebunden, d.h. er wird in der Überwindung eines bloß mechanischen Materialismus
nicht mehr durch ontologische Aussagen festgelegt (5), die durch die
naturwissenschaftliche Entwicklung immer wieder widerlegt werden können.
In
dem Kapitel „Die Materie ist Verschwunden“ (Lenin XIV: 258) erläutert Lenin entgegen
den idealistischen und besonders machistischen Physikern und Philosophen, die
Reduzierung der Materie auf Elektrizität mit dem Verschwinden der Materie
gleichzusetzen, die Elektrizität als eine bloß neue Form der materiellen
Bewegung, denn : „Die Materie verschwindet heißt: Es verschwindet jene Grenze,
bis zu welcher wir die Materie bisher kannten, unser Wissen dringt tiefer; es
verschwinden solche Eigenschaften der Materie, die früher als absolut,
unveränderlich, ursprünglich gegolten haben (Undurchdringlichkeit, Trägheit,
Masse usw.) und die sich nunmehr als relativ, nur einigen Zuständen der Materie
eigen erweisen.“ (Lenin XIV: 260)
Die
Materie bleibt als Objekt der Wissenschaft „unendlich“, „unermäßlich,
unauskennlich, unerschöpflich“, und „der dialektische
Materialismus betont nachdrücklich, daß jede
wissenschaftliche These über die Struktur und die Eigenschaften der Materie nur
annähernde, relative Geltung hat, daß es in der Natur
keine absoluten Schranken gibt, daß die sich
bewegende Materie Verwandlungen durchmacht aus einem Zustand in einen anderen,
der von unserem Standpunkt aus scheinbar mit dem vorangegangenen unvereinbar
ist u.s.w.“ (Lenin XIV: 261) Die Dialektik schließt
somit einen Moment des Relativismus ein (6), aber nicht in dem Sinne, dass sie
die Erkenntnis der objektiven Wahrheit leugnet, sondern dass sie die relative
geschichtliche Wahrheit als einen unendlichen Annäherungsprozess an die
absolute Wahrheit deutet (7).
Welche
Aussagen finden wir bei Friedrich Engels über der Materie? In der „Dialektik
der Natur“ heißt es: „NB. Die Materie als solche ist eine reine
Gedankenschöpfung und Abstraktion. Wir sehen von den qualitativen
Verschiedenheiten der Dinge ab, indem wir sie als
körperlich existierende unter dem Begriff Materien zusammenfassen. Materie als
solche, im Unterschied von den bestimmten, existierenden Materie, ist also
nichts Sinnlich-Existierendes. Wenn die Naturwissenschaft darauf ausgeht, die
einheitliche Materie als solche aufzufassen, die qualitativen Unterschiede auf
bloß quantitative Verschiedenheiten der Zusammensetzung identischer kleinster
Teilchen zu reduzieren, so tut sie dasselbe, wenn sie statt Kirschen, Birnen,
Äpfel das Obst als solche, statt Katzen, Hunde, Schafe etc. das Säugetier als
solches zu sehen verlangt, das Gas als solches, das Metall als solches, den
Stein als solchen, die chemische Zusammensetzung als solche, die Bewegung als
solche.“(Engels XX: 519)
Engels
distanziert sich ausdrücklich von der metaphysischen
Vorstellung einer Substanz, eines unveränderlichen Substrats, das als Träger
den Erscheinungsformen der Materie zugrunde liegt. Die Materie existiert aber
nicht als oberstes Seinsprinzip unabhängig von ihren quantitativen und
qualitativen konkreten Daseinsweisen. Ihr Allgemeines kann daher nicht in der
von der Individualität deduzierten Abstraktion zu suchen sein, die „nichts
Sinnlich-Existierendes“ ist, sondern nur im Besonderen. Es gilt daher das
Allgemeine im Besonderen darzustellen, d.h. die Materie als die Totalität der
jeweils in bestimmter Weise existierenden einzelnen Daseinsweisen der äußeren
Objekte aufzufassen. „Die Materie und Bewegung kann“, so schreibt Engels, „gar
nicht anders erkannt werden als durch Untersuchung der einzelnen Stoffe und
Bewegungsformen, und indem wir diese erkennen, erkennen wir pro tanto auch die Materie und Bewegung als solche.
Abschließende
können wir die Materie als die unendlich seiende, unerschöpfliche Totalität
aller einzelnen, sich ständig wandelnden Daseinsstrukturen definieren, die mit
Lenin in der Außenwelt als letzter erkenntnistheoretischer philosophischer
Kategorie unabhängig von unserem Bewußtsein als reale
Objekte ewig bestehen bleiben. Diese Definition kann, so Lenin, nicht
veraltern. Und zwar gerade darum nicht, so scheint es uns, weil der Materiebegriff
nicht an bestimmte inhaltliche Aussagen bezüglich der einzelnen Strukturen der
Materie gebunden wird, die sich notwendigerweise mit den fortschreitenden
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ständig ändern müssen (8).
1.2 Die Einheit von Materie und Bewegung
Bei
den Hylozoisten galt der Stoff als ursprünglich
bewegt, aber schon bei Heraklit. Emedokles und Anaxagonas tritt eine Trennung zwischen dem Stoff und der
ihn bewegenden Kraft auf, die seither eine problematische Konstante in der
Geschichte der Philosophie geblieben ist und meist in dem Dualismus von Geist
oder Seele und Körper abgehandelt wird. Dabei ist die Seele dem Körper als
immaterielle bewegte Kraft übergeordnet; sie ist das unsterbliche Prinzip des
Seienden.
Der
Gegensatz zwischen Idealismus und Materialismus manifestiert sich unter anderem
in dieser Differenzierung. Das „Verschwinden der Materie“ in der neuen Physik
liefert den Idealisten wieder neue Argumente zur Bekämpfung des Materialismus,
die Lenin zu widerlegen versuchte. Das „Verschwinden der Materie“ erwies sich
dabei nur als eine neue Form der materiellen Bewegung und sowohl Engels als
auch Lenin betonen, dass es keine Materie ohne Bewegung und keine Bewegung ohne
Materie geben könne, da die Bewegung die Daseinsweise der Materie darstelle.
Nun
leugnet auch der Idealist nicht die Bewegung als solche, nur ist sie nicht die
Grundlage für die Erkenntnis einer unabhängig vom Bewusstsein existierenden
Außenwelt (9). Die Bewegung als philosophischer Begriff ist ebenso wie die Materie
als solche eine Verallgemeinerung, und sie kann nicht auf eine ihrer
spezifischen Formen beschränkt werden, etwa die Ortsbewegung
in der Mechanik, die Molekularbewegung in der Physik oder die Bewegung der
Atome in der Chemie (vgl. Engels XX: 354). - Zwar schließt jede Bewegung eine
Ortsveränderung ein aber sie läßt sich nicht darauf
reduzieren. „Je höher die Bewegungsform, desto geringer wird die
Ortsveränderung. Sie erschöpft die Natur der betreffenden Bewegung in keiner
Weise, aber sie ist untrennbar von ihr.“ (vgl. Engels XX: 355) Wir müssen die Eigenständigkeit der
qualitativ höheren Formen respektieren und können daher höhere
Entwicklungsstrukturen nicht auf die niedere reduzieren (vgl. Engels XX: 513) , wenn diese auch in den höheren enthalten sind: so das
Tier oder den Menschen auf eine rein mechanisch funktionierende Maschine, wie
wir es bei dem französischen Materialisten feststellen werden.
Welche
semantische Breite umfasst aber der philosophische Begriff der Bewegung bei Engels?
Was ist die Bewegung im Allgemeinen? „Bewegung in dem allgemeinsten
Sinn, in dem sie als Daseinsweise, als ein inhärentes Attribut der Materie gefaßt wird“, so schreibt Engels in der „Didaktik der
Natur“, „begreift alle im Universum vergehenden Veränderungen und Prozesse in
sich, von der bloßen Ortsveränderung bis zum Denken.“ (Engels XX: 354) Das allen Formen der Bewegung Gemeinsame ist
die „Veränderung überhaupt.“ (Engels XX: 513)
Und diese ist als solche in Koexistenz mit der Materie unerschöpflich.
Engels
schreibt, „das wir aus Erfahrung und Theorie wissen, dass die Materie wie ihre
Daseinsweise, die Bewegung, unerschaffbar und also ihre eigene Endursache sind
[...]“.(Engels XX: 519) – Die
Unerschaffbarkeit und Unzerstörbarkeit der Materie werden nicht zuletzt durch
die Gesetze von der Erhaltung und Umwandlung der Energie bewiesen. Und wenn
sich auch die einzelnen Strukturen der sich bewegenden Materie verändern, in
dem sie in Form der Verwandlung entstehen und vergehen, so bleibt doch, wie
Descartes schon feststellte (10), im Universum stets dasselbe Quantum an
Bewegung erhalten (vgl. Engels XX: 511).
1.3 Das Bewusstsein als höchstes Produkt
der Materie
Das
Bewusstsein können wir nur bestimmen, wenn wir sein Abhängigkeitsverhältnis zur
Materie angeben, die gegenüber dem Bewusstsein das Primäre ist. „Die physische
Welt“, so schreibt Lenin, „existiert unabhängig vom Bewußtsein
des Menschen und hat lange vor dem Menschen, vor jeder „Erfahrung der Menschen“
existiert.“ (Lenin XIV: 226) Das Bewusstsein kann also nicht rein
naturalistisch als etwas Gegebenes betrachtet werden, sondern es tritt erst im
Verlaufe der Entwicklung der Materie, die damit seine naturhistorische
Voraussetzung bildet, beim Menschen (11) in Erscheinung. Die Materie bringt in
ihrer Genese das Bewusstsein als Produkt hervor.
„Fragt
man aber weiter“, so schreibt Engels im „Anti-Dühring“,
“was denn Denken und Bewußtsein sind und woher sie
stammen, so findet man, daß es Produkte des
menschlichen Hirns und daß der Mensch selbst ein
Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt hat
[...]“.(Engels, Anti-Dühring XX: 23) In der
Feuerbachschrift heißt es, „daß die stofflich
wahrnehmbare Welt, zu der wir selbst gehören, das ewig Wirkliche, und daß so Bewußtsein und Denken, so
übersinnlich es scheint, das Ergebnis eines stofflichen körperlichen Organs,
des Gehirns ist. Die Materie ist nicht ein Erzeugnis des Geistes, sondern der
Geist ist selbst nur das höchste Produkt der Materie.“ (Engels, Feuerbach XXI:
277) Eine analoge Darstellung finden wir wieder bei Lenin: „Das Psychische, das
Bewußtsein u.s.w.; ist das
höchste Produkt der Materie (d.h. das Physischen), es ist eine Funktion jenes
besondern komplizierten Stückes Materie, das als Gehirn des Menschen bezeichnet
wird.“ (XIV: 226)
In
diesen Zitaten wird – entgegen dem objektiven Idealismus, der eine Seele, einen
Geist oder ein Bewusstsein außerhalb des Menschen selbständig existieren lässt
und diese zur unmittelbaren Ursache der materiellen Welt erhebt, und entgegen
dem Subjektivismus, der die materiellen Prozesse als bewusstseinsimmanent, d.h.
nur in der Vorstellung vorhanden auffasst -, die funktionale und physiologische
Abhängigkeit des Bewusstseins von der organisierten Materie auf das Deutlichste
geschildert. Das Bewusstsein ist an die Materie gebunden und wird durch diese
bestimmt.
2. Die materialistische Dialektik
Die
materialistische Dialektik ist als allgemeine Lehre von der Bewegung zu
verstehen, und sie beschreibt in drei grundlegenden Gesetzen (12) die Entwicklung
der Materie in ihren Erscheinungsformen, d.h. in der Natur, der Gesellschaft
und im Denken; Die Widersprüchlichkeit der Natur erwies sich dabei als
objektive Dialektik, und diese steht der Dialektik des „absoluten Geistes“, der
nur ein Reflex der sich in Gegensätzen entwickelnden Natur ist, gegenüber.
Die
Dialektik als eine Entwicklung in Gegensätzen geht von der Prozesshaftigkeit
der Wirklichkeit aus und untersucht das Werden und Vergehen der Erscheinung als
einen Wechsel von Niederen zu Höheren und grenzt sich dadurch von jeder
metaphysischen, d.h. nicht evolutiven
Anschauungsweise ab. Die Widersprüchlichkeit der Welt hebt jedoch nicht den
Monismus des dialektischen Materialismus auf, sondern sie bestimmt vielmehr die
Einheit eines sich gesetzmäßig in Antagonismen entwickelnden Zusammenhanges.
Nicht Gott oder der durch die Entwicklung der Welt zu sich selbst
zurückgekehrte Geist, sondern die in Wechselwirkung angelegte Natur ist der
Garant für die Bewegung und die Einheit der Welt; denn der Widerspruch ist das
allgemeine Gesetz der Selbstbewegung der Materie (13).
2.1 Das Gesetz von der Durchdringung der
Gegensätze
„Der
Kernpunkt der dialektischen Auffassung der Natur“, so betont Friedrich Engels
im „Anti-Dührung“ (XX: 14), ist die Erkenntnis, dass
in der Natur zwar Gegensätze vorkommen, dass diese aber nur von relativer und
nicht von absoluter Gültigkeit sind. Die Entwicklung zeigt sich als Kampf entgegengesetzter Prinzipien, die sich einander bedingen
und durchdringen, aber nicht absolut ausschließen. Während sich in der
Metaphysik nur Gleiches mit Gleichen verbindet, enthält in der Dialektik das
Identische die innere Tendenz seines Gegensatzes.
„Solange
wir die Dinge als ruhende und leblose, jedes für sich, neben und nacheinander,
betrachten, stoßen wir allerdings auf keine Widersprüche an ihnen [...] Soweit
dies Gebiet der Betrachtung ausreicht, soweit kommen wir auch mit der
gewöhnlichen, metaphysischen Denkweise aus. Aber ganz anders, sobald wir die
Dinge in ihrer Bewegung, ihrer Veränderung, ihrem Leben, in ihrer
wechselseitigen Einwirkung aufeinander betrachten. Da geraten wir sofort in
Widersprüche [...] Wenn schon die einfache mechanische Ortsbewegung
einen Widerspruch in sich enthält, so noch mehr die höheren Bewegungsformen der
Materie und ganz besonders das organische Leben und seine Entwicklung.“(Engels
XX: 112)
Der
Antagonismus der Wirklichkeit stellt sich somit in der Einheit der Gegensätze
dar, worüber Heraklit sagte: Alles ist und ist zugleich auch nicht.
2.2 Das Gesetz des Umschlagens von
Quantität in Qualität und umgekehrt (14)
In
der antiken Atomistik wurden alle qualitativen Veränderungen auf rein
quantitativ – mechanische Prozesse der in ihrer verschiedenen Gestalt
qualitativ gleichen Atomsubstanzen zurückgeführt. Die Atome galten als letztes
metaphysisches unveränderliches, d.h. unzerstörbares, undurchdringliches und
unteilbares Prinzip zur Konstruktion der Welt. Die durch die Bewegung
verursachten verschiedenartigen Atomkonstellationen konnten durch Reduktion
wieder in ihre einzelnen Körperteilchen zerlegt werden. Dabei wurden der Eigenwert der zusammengesetzten höher
organisierten Stufe, d.h. der prinzipielle und nicht nur graduelle Unterschied
im Allgemeinen nicht erkannt.
Nun
lehrt der dialektische Materialismus, dass in jedem Entwicklungsprozess zu
einem bestimmten Zeitpunkt ein qualitativer Sprung eintritt. Eine bestehende
Qualität geht durch quantitative Veränderung in einen neuen qualitativen
Zustand über, der also aus seinem Nichtsein oder Gegensatz entsteht: so etwa
der Wechsel der Aggregatzustände, die Entstehung neuer biologischer Arten und
das Hervorgehen der organischen Materie aus der anorganischen. Es ist zwar
unmöglich, „ohne Zufuhr resp. Hinwegnahme von Materie oder von Bewegung, d.h.
ohne quantitative Änderung des betreffenden Körpers, seine Qualität zu ändern“
(Engels, Dialektik, XX: 349), aber ebenso ist jede Qualität eine neue
Organisationsform, die über die Summe der sie konstituierenden Teile hinaus
einen Eigenwert beanspruchen muss.
2.3 Das Gesetz von der Negation der
Negation
„Alles
was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht.“ Faust
I, 324
„Nehmen
wir ein Gestenkorn [...] es keimt; das Korn vergeht als solches, wird negiert,
an seine Stelle tritt die aus ihm entstehende Pflanze, die Negation des Korns.
Aber was ist der normale Lebenslauf dieser Pflanze? Sie wächst, blüht, wird
befruchtet und produziert schließlich wieder Gerstenkörner, und sobald diese
gereift, stirbt der Halm ab, wird seinerseits negiert. Als Resultat dieser
Negation der Negation haben wir wieder das anfängliche Gerstenkorn, aber nicht
einfach, sondern zehn -, zwanzig -, dreißigfacher Anzahl. Getreidearten
verändern sich äußerst langsam, und so bleibt sich die Gerste von heute
ziemlich gleich mit der vor hundert Jahren. Nehmen wir aber eine bildsame
Zierpflanze, z.B. eine Dahlie oder Orchidee; behandeln wir den Samen und die
aus ihm entstehende Pflanze nach der Kunst des Gärtners, so erhalten wir als
Ergebnis dieser Negation der Negation nicht nur mehr Samen, sondern auch
qualitativ verbesserten Samen, der schönere Blumen erzeugt, und jede
Wiederholung dieses Prozesses, jede neue Negation der Negation steigert diese Vervollkommenheit.“ (Engels, Anti-Dühring
XX: 126f.)
Das
erste Moment der Entwicklung ist die Negation des Bestehenden. Das Samenkorn
entwickelt sich zur Pflanze, indem das Korn negiert wird. Diese Negation ist
aber nicht als eine absolute Auflösung (Engels, Anti-Dühring
XX: 132) zu verstehen, sondern sie erhält das Positive im Zusammenhang der Entwicklung
(15), so dass aus Niederem jeweils etwas qualitativ höheres entstehen kann,
welches seinerseits aber wieder negiert werden muss. Die Negation erweist sich
dabei als ständiger irreversibler Prozess und nicht als eine einmalige
Angelegenheit: Als Widerspruch oder Negation der Negation.
In
der Hegelschen Dialektik hingegen bedeutet die Negation der Negation keine
unmittelbare Weiterentwicklung, sondern die Rückkehr der Geistes – nachdem
dieser sich in der Natur entäußert, d.h. negiert hatte, und der menschliche
Geist diese durch die Erkenntnis der „absoluten Idee“ wieder negierte – zu sich
selbst. Die dialektische Methode Hegels steht somit in unmittelbarem
Widerspruch zu dem Ergebnis seiner Philosophie: der Prozess der Entäußerung und
der Rückkehr der Geistes zu sich selbst findet im System Hegels sein Ende,
seinen Schlusspunkt. „Damit wird aber der ganz dogmatische Inhalt des
Hegelschen Systems für die absolute Wahrheit erklärt, im Widerspruch mit seiner
dialektischen, alles Dogmatische auflösenden Methode; damit wird die
revolutionäre Seite erstickt unter der überwuchernden Konservativen.“ (Engels,
Feuerbach XXI: 268)
3. Die Erkenntnistheorie des
dialektischen Materialismus
Die
Frage nach der Erkennbarkeit der Welt, so F. Engels, die andere Seite der
„Frage nach dem Verständnis von Denken und Sein [...]“(Engels, Feuerbach XXI:
275). Das Bewusstsein hatte sich als höchstes Produkt der organisierten Materie
ausgewiesen, aber es bleibt weiterhin zu untersuchen, wie sich unsere Gedanken
in Relation zu der uns umgebenden Welt verhalten. Sind unsere Vorstellungen ein
wirklichen Spiegelbild der objektiven Wirklichkeit, oder ist diese nicht
ergründbar? Gibt es ein „Ding an sich“, das sich hinter der Erscheinung der
Dinge für immer verbirgt? Der materialistisch-monistische
Standpunkt des dialektischen Materialismus beantwortet die Frage nach der
Erkennbarkeit der Welt mit einem eindeutigen Ja, wo hingegen Kant und andere
Philosophen (16) die Möglichkeit der Erkenntnis der Welt bestreiten. Die
positive Beantwortung dieser Frage bedeutet aber nun nicht – und dieses möchten
wir betonen, um einer vorschnellen Kritik vorzubeugen -, dass die Welt bereits
in ihrer Totalität erkannt wäre oder jemals erkannt werden könnte, sondern nur
die prinzipielle Möglichkeit der Erkenntnis der Welt in einem unendlichen
Prozess (vgl. Engels, Anti-Dühring XX: 34f.).
Das
Bewusstsein bildet als Spiegel die objektive Außenwelt in adäquater Form ab:
eine primitive mechanistische Abbildungstheorie. Nicht zu Unrecht wird diese
Erkenntnistheorie, die die Macht der Objekts, das in
uns sein Abbild als Fotographie wie in einem Bilderalbum deponiert und das
Subjekt in die Zwangsjacke der Untätigkeit zwingt kritisiert. Nun trifft diese
Kritik nicht die Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus. Wer dieses
dennoch meint, sollte seine Kritik nach dem Gesetz der Negation der Negation
einer Kritik unterziehen, um festzustellen, dass das Kritisierte nur eine
verzerrte Projektion der eigenen Phantasie war.
Die marxistisch - leninistische Widerspiegelungstheorie
basiert zwar auf der Annahme einer Abbildung der Wirklichkeit im menschlichen
Bewusstsein, aber diese Abbildung ist mit dem Abgebildeten nicht identisch,
d.h. sie ist nur annähernd adäquat. Die Wirklichkeit darf nicht nur in der Form
des Objekts oder der passiven Anschauung betrachtet werden, sondern sie
schließt das „tätige Subjekt“ (Marx, Erste Feuerbachthese III: 5) ein, ohne
dieses wiederum in der Form Fichtes, Hegels oder des Berkleyanismus
zu verabsolutieren.
Es
kommt auf die Darstellung der Interdependenz und die Wahrung der Einheit von
sinnlicher und rationaler Erkenntnis an. Die Wahrnehmung der Außenwelt durch
die Sinne bildet die Grundlage für die Erkenntnis überhaupt. Während der
Tastsinn, der Geruchssinn oder der Sehsinn in Form der Widerspiegelung
Informationen über die materielle Welt liefern, bildet das Bewusstsein als
höchstentwickelte Form der Materie diese sinnlichen Abbilder in
abstrakt-ideelle Begriffe um. Die sinnliche Anschauung und das begriffliche
Denken sind jedoch nicht als getrennte Vermögen, sondern als einheitlicher
Prozess der Erkenntnis der realen Welt aufzufassen, denn mit der sinnlichen
Anschauung eines Gegenstandes ist zugleich immer seine rationale Zuordnung zu
einem Begriff verbunden.
3.1 Das „Ding an sich“
Die
These von der Erkennbarkeit der Welt stellt den dialektischen Materialismus in
unmittelbaren Gegensatz zu denjenigen Philosophen, die behaupten, es gebe ein
„Ding an sich“ jenseits der Erscheinungen (Lenin XIV: 91ff.), es gebe eine
Welt, die unsere Erkenntnis prinzipiell nicht zugänglich sei. „Die schlagenste Widerlegung dieser wie aller andern
philosophischen Schrullen“, so schreibt Engels in seiner Feuerbach-Schrift,“ ist die Praxis, nämlich das Experiment und die Industrie.
Wenn
wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, in
dem wie ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein
unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kantschen Unfassbaren
„Ding an sich“ zu Ende. Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten
chemischen Stoffe lieben solche „Dinge an sich“, bis die organische Chemie sie
einen nach dem andern darzustellen anfing; damit wurde das „Ding an sich“ ein
Ding für uns, wie z.B. der Farbstoff des Krapps, das Alizarin, das wie nicht
mehr auf dem Felde in den Krappwurzeln wachsen lassen, sondern aus Kohlenteer
weit wohlfeiler und einfacher herstellen.“(Engels, Feuerbach XXI: 276) Was
heute nicht erkannt ist, kann morgen erkannt werden, und ein Nicht-Erkennbares,
d.h. ein „Ding an sich“, kann es in einem gegen unendlich laufenden
dialektischen Erkenntnisprozess nicht geben.
„Was
ist das Wesentliche an dem Einwand Engels?“, so fragt Lenin. „Gestern wußten wir noch nicht, daß im
Kohlenteer Alizarin existiert, heute haben wir es erfahren. Es ragt sich, hat
das Alizarin auch gestern im Kohlenteer existiert? natürlich war es da. Jeder
Zweifel daran wäre ein Hohn auf die moderne Naturwissenschaft.“(Lenin XIV: 96)
Drei Schlussfolgerungen lassen sich mit Lenin aus diesem Engelsbeispiel ziehen:
„1, Die Dinge existieren unabhängig von unserem Bewußtsein, unabhängig von unserer Empfindung, außer uns;
denn es ist unbestreitbar, daß Alizarin auch gestern
im Kohlenteer existierte und es ist ebenso unbestreitbar, daß
wir gestern von dieser Existenz nichts wußten und
keinerlei Empfindung von diesem Alizarin hatten.
2. Zwischen der Erscheinung und Dem Ding an sich gibt
es absolut keinen prinzipiellen Unterschied, und es kann einen solchen nicht
geben. Ein Unterschied gibt es nur zwischen Erkanntem und noch nicht Erkanntem.
[...]
3. In der Erkenntnistheorie muß
man, ebenso wie auf allen anderen Gebieten der Wissenschaft, dialektisch
denken, d.h. unsere Erkenntnis nicht für etwas Fertiges und Unveränderliches
halten, sondern untersuchen, auf welche Weise das Wissen aus Nichtwissen
entsteht, wie unvollkommenes, nicht exaktes Wissen vollkommen und exakt wird.“
(Lenin XIV: 96)
4. Der historische Materialismus und
seine Geschichtsauffassung
Der
historische Materialismus darf als materialistische Geschichtsauffassung des
Marxismus – Leninismus nicht losgelöst vom philosophischen und dialektischen
Materialismus betrachtet werden, wenn ihm auch ein konkreter Aufgabenbereich
zugeteilt wird, der den bisherigen „unhistorischen“ (17)
Materialismus überwinden soll. Das Verhältnis des historischen Materialismus zu
seiner philosophischen Grundlage kann als ein Verhältnis von Allgemeinem und
Besonderem bezeichnet werden.
Während
der dialektische Materialismus die allgemeinen Bewegungs- und
Entwicklungsgesetze der Natur untersucht und das menschliche Bewusstsein als
höchste Form der Materie durch die Widerspiegelung des objektiven Seins im
Denken bestimmt, analysiert der historische Materialismus die antagonistische
Entwicklung des in die Natur eingebundenen Seins. Die Geschichte des Menschen
ist zwar einerseits identisch mit der Entwicklung der Natur, nämlich in sofern
diese sich mit objektiver Notwendigkeit vollzieht, andererseits besteht aber
ein qualitativer Unterschied: die Einsicht des Menschen in die Notwendigkeit
und seine daraus resultierende Freiheit (18).
Solange
die blinde Notwendigkeit herrscht, handelt der Mensch wie das Tier nach den
verborgenen Gesetzten der Natur. Sobald der Mensch sich aber als ein
vernunftbegabtes Wesen zeigt, entwickelt er in der Aufdeckung dieser Gesetze
seine Freiheit, die in der planmäßigen Anwendung der Naturgesetze besteht. Der
Mensch ist in das Naturgeschehen eingebunden, bestimmt es aber durch sein
aktives, praktisches und zweckgerichtetes Handeln
mit. „Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die
Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebenen
Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. [...]
Freiheit des Willens heißt daher nichts anderes als die Fähigkeit, mit
Sachkenntnis entscheiden zu können“ (Engels, Anti-Dühring
XX: 106), d.h. ein dem Entwicklungsstand entsprechendes Urteil zu finden.
„Freiheit
besteht also in der Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft
über uns selbst und über die äußere Natur; sie ist damit notwendig ein Produkt
der geschichtlichen Entwicklung.“ (Engels, Anti-Dühring
XX: 106) Die Schillerworte aus dem dritten Brief „Über die ästhetische
Erziehung des Menschen“ zeigen deutlich, was auch hier als der Weg der Menschen
zur Freiheit verstanden wird: „Aber eben das macht ihn zum Menschen, daß er bei dem nicht stillesteht,
was die bloße Natur aus ihm machte sondern die Fähigkeit besitzt, die Schritte
welche jene mit ihm Antizipierte, durch
Vernunft wieder rückwärts zu tun, das Werk der Not in ein Werk seiner freien
Wahl umzuschaffen, und die physische Notwendigkeit zu einer moralischen zu
erheben.“
Der
historische Materialismus verwirft jedoch jede fatalistisch–deterministische
Auffassung, die seine revolutionäre Kraft unterlaufen würde, doch bleibt die
Bestimmung der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit problematisch.
Anmerkungen
/1/
Der griechisch-römische Atomismus kann hingegen als metaphysischer
Materialismus bezeichnet werden; durch seinen Prozesscharakter war er aber auch
dialektisch: die zwar unwandelbaren Atome befanden sich in steter Bewegung und
verursachten den dauernden Wechsel von Entstehen und Vergehen.
/2/
Das Materieproblem bei Marx bleibt auch in der einschlägigen Literatur weithin
unberücksichtigt. Vgl. dazu A. Schmidt 1978: 11. „Indem der weitaus größte Teil
der seitherigen Literatur über Marx mit Grund hervorkehrt, was dessen
Materialismus als eine primär an Geschichte und Gesellschaft orientierte
Theorie qualitativ von allen philosophisch auftretenden Formen des
Materialismus unterscheidet, versäumt er zugleich diejenigen Momente in Marx
gebührend zu berücksichtigen, die ihm selbst mit den antiken Materialisten
verbinden. Dabei ist die Frage nach dem Zusammenhang von materialistischer
Geschichtsauffassung und philosophischem Materialismus keineswegs zweitrangig
oder bloß terminologisches Interesse.“
/3/
Lenin, Empiriokritizismus XIV: 124.
„Die
Materie ist eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven
Realität, die dem Menschen in seinen Empfindungen gegeben ist, die von unseren
Empfindungen kopiert, fotographiert, abgebildet wird
und unabhängig von ihnen existiert. Davon zu reden, daß
ein solcher Begriff „veraltern“ kann, ist daher kindliches Geschwätz, eine
sinnlose Wiederholung der Argumente der reaktionären Modephilosophie.“
/4/
Vgl. Lenin, Empiriokritizismus XIV: 124.
„Es ist aber völlig unzulässig, die Lehre von
dieser oder jener Struktur der Materie mit einer erkenntnistheoretischen
Kategorie zu verwechseln, die frage nach den neuen Eigenschaften der neuen
Arten der Materie (zum Beispiel der Elektronen) mit der alten Frage der
Erkenntnistheorie, der Frage nach den Quellen unseres Wissens, nach der
Existenz der objektiven Wahrheit u.dgl.m. zu
verwechseln, wie die Machissten dies tun.“
/5/
Vgl. H. Hörz / A.J. Iljin
(Hrsg.), Der dialektische Materialismus
und seine Kritiker, S. 68ff.
/6/
Vgl. dazu F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen
Philosophie, in: Marx/Engels, Werke, Berlin 1981, XXI, 278. „Mit jeder epochemachenden Entdeckung schon auf
naturwissenschaftlichen Gebiet muß er seine Form änderen;“
/7/ Vgl. Lenin,
a.a.O., 5. Absolute und relative Wahrheit,
S. 126 – 132. Vgl. besonders S. 129: „Das menschliche Denken ist also seiner
Natur fähig, uns die absolute Wahrheit, die sich aus der Summe der relativen
Wahrheiten zusammensetzt, zu vermitteln, und es tut dies auch. Jede Stufe in
der Entwicklung der Wissenschaft fügt dieser Summe der absoluten Wahrheit neue
Körnchen hinzu; aber die Grenzen der Wahrheit jedes wissenschaftlichen Satzes
sind relativ und können durch die weitere Entwicklung der Wissens entweder
weiter oder enger gezogen werden.“
/8/
Vgl. dazu auch A. Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, a.a.O., S. 59
/9/
Vgl. dazu Lenin, a.a.O., S. 267. Kap. „Ist Bewegung
ohne Materie denkbar?“ – „Das, was den Materialisten grundlegend von den
Anhängern der idealistischen Philosophie unterscheidet, ist dies, daß er die Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung und
überhaupt das Bewußtsein des Menschen als Abbild der
objektiven Realität betrachtet. Die Welt ist die Bewegung dieser von unserem Bewußtsein wiedergespiegelten
objektiven Realität. Der Bewegung der Vorstellungen, Wahrnehmungen usw.
entspricht die Bewegung der Materie außer mir. Der Begriff Materie drückt
nichts anderes aus als die uns in der Empfindung gegebenen objektive Realität.
Daher ist die Trennung der Bewegung von der Materie gleichbedeutend mit der
Trennung der Denkens von der objektiven Realität, mit der Trennung meiner
Empfindungen von der Außenwelt, d.h. gleichbedeutend mit dem Übergang auf die
Seite des Idealismus.“
/10/
Descartes, Prinzipien der Philosophie, §36
/11/
Zwar finden wir auch bei Tieren psychische Reaktionen und Prozesse, aber nicht
im Sinne der Abbildung der Realität durch abstrakt-begriffliches Denken. – Bei
der Abhandlung der Wiederspiegelungstheorie werden
wir den Erkenntnisprozeß genauer fassen müssen.
/12/
Der marxistisch-leninistische Materialismus entlehnt diese drei Gesetze – das
Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität und umgekehrt, das Gesetz von
der Durchdringung der Gegensätze und das Gesetz von der Negation der Negation –
der Schrift über die „Logik“ von Hegel, materialisiert aber dessen Dialektik
des Geistes.
/13/
Hegel lehrte, daß ein Ding sich insofern bewegte, als
es selbst ein Widerspruch in sich schloß.
/14/
Vgl. dazu bes F. Engels, Dialektik der Natur, XX, 349
ff. und Engels, Anti-Dühring, XX, 111
/15/
Vgl. auch Lenin, Konzept zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ in: Werke, XXXVII,
218
/16/
Engels meint vor allem Hume, aber auch alle
„positivistischen Spielarten“ der Folgezeit, die die Möglichkeit einer objektiven
Erkenntnis verneinen. Für uns wird es von besonderem Interesse sein, die Frage
nach der Erkennbarkeit der Welt im Verlaufe unserer Arbeit bei den einzelnen
französischen Materialisten genauestens zu untersuchen, um festzustellen,
inwiefern positivistische Züge auszumachen sind oder solche unterbleiben.
/17/
Engels, Ludwig Feuerbach, XXI, 279. Engels kritisiert den ausschließlich
mechanischen Charakter des französischen Materialismus und seine „Unfähigkeit,
die Welt als einen Prozeß, als einen in einer
geschichtlichen Fortbildung begriffenen Stoff aufzufassen.“ (Ebd. S. 278 f)
/18/
Diese Definition der Freiheit übernehmen die Materialisten wohlgemerkt von
Hegel.
Bibliographie:
Marx/Engels
Werke - Berlin: Dietz Verlag 1962.
Engels:
Die Entwicklung des Sozialismus von der
Utopie zur Wissenschaft. In:
Marx/Engels, XIX.
- Dialektik der Natur. In: Marx/Engels, XX und Anti-Dühring, XX
- Ludwig Feuerbach und der Ausgang der
klassischen deutschen Philosophie. In:
Marx/Engels, XXI
Lenin,
W.I. (8 1977): Materialismus
und Empiriokritizismus. Werke, Bd. 14, Berlin:
Dietz Verlag.
- Konzept zu Hegels „Wissenschaft der Logik“
In: Werke, XXXVII.
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Hörz, H.
/Iljin, A.J.
(Hrsg.) (1975): Der dialektische
Materialismus und seine Kritiker. Berlin.
Schmidt
, A. (³1978): Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx. Überarbeitete,
ergänzte und mit einem Postscriptum versehene
Neuausgabe: Frankfurt am Main.