Manfred Overmann
Emotionales Lernen: Sentio, ergo
cognosco
Richtig sieht man nur mit dem Herzen;
das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.
(Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz)
The Cartesian dualism of mind and body, which
has resulted in a misdirected hypertrophy of the head and a reduction of the
holistic approach to the learning process, is a mistake. Scientific research in
the cognitive sciences proves that there are no cognitive states that do not
include affective factors, since the interhemispheral brain colours all
cognitive-sensory information affectively. Following in the tradition of
humanistic education we therefore call for, on the basis of a neurobiological
monism, a multimodal-complex approach to teaching in order to rehabilitate the
learner in the dialectic unity of cognition and emotion; his/her personality as
an autonomous individual should be constructed by activating all the senses in
multidimensional learning situations – sentio, ergo cognosco.
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Der cartesische Dualismus von Geist und Körper, der zu einer fehlgeleiteten Hypertrophie des Kopfes und Amputation der Ganzheitlichkeit im Lernprozess geführt hat, ist ein Irrtum. Wissenschaftliche Forschungen in den Kognitionswissenschaften belegen, dass es gar keine kognitiven Zustände ohne Einbeziehung affektiver Faktoren gibt, weil das interhemisphärische Gehirn alle kognitiv-sensorischen Informationen affektiv färbt. Im Anschluss an die humanistische Bildungspädagogik fordern wir daher auf der Grundlage eines neurobiologischen Monismus eine multimodale Didaktik der Komplexität, um den Lerner in der dialektischen Einheit von Kognition und Emotion mit allen Sinnen durch mehrdimensionale Lernsituationen bei der Konstruktion seiner Persönlichkeit als autonomes Individuum zu rehabilitieren – sentio, ergo cognosco.
In der Forschungsliteratur ist die emotionale Seite des Lernens bislang eher stiefmütterlich behandelt worden, weil die Erhebung empirischer Daten zu psychischen Prozessen schwer fassbar erscheint. Zorn, Liebe, Hass, Freude und Traurigkeit üben im Lernprozess jedoch in ihrem Wechsel von Anspannung und Entspannung als dynamische Kräfte eine entscheidende handlungssteuernde Wirkung aus, indem sie positive und Lust verursachende oder negative und Unlust hervorrufende Emotionen bewirken.
Wie Hermann-Brenecke feststellt, lässt sich erst in jüngster Zeit „ein wachsendes Interesse an der Befindlichkeit des Schülers konstatieren. Immer wieder ist in fremdsprachendidaktischen Veröffentlichungen von Lernatmosphäre, emotionaler Geborgenheit, Motivation und Bedürfnissen die Rede, gelegentlich fällt auch der Begriff affektiv.“ (1998: 53) Dadurch wird die bislang vorherrschende kognitive Dominanz in psychologischen, linguistischen, anthropologischen und neurobiologischen Forschungen stark relativiert. Selbst in der kognitiven Psychologie erscheinen Emotion und Kognition inzwischen als vernetzte Orientierungssysteme bei der Konstruktion von Wissen und der Verarbeitung von Informationen.
Dass Bewusstheit und Affekt aber in ihrer Interaktion verstanden werden müssen, wurde schon in der Rhetorik des Aristoteles begründet, und in der Entwicklungspsychologie Piagets verlaufen die geistige und affektive Entwicklung des Kindes als interdependente Prozesse parallel. Diese Anschauungen werden heute durch die Neurowissenschaften bestätigt, in denen der cartesische Dualismus als Irrtum erscheint (Damasio 1997), und auch in der emotionspsychologischen- und biologischen Literatur „bricht sich“, so der Schweizer Konstruktivist Luc Ciompi, „die Erkenntnis schrittweise Bahn, dass emotionale Komponenten viel tiefergehende Wirkungen auf Denken und Verhalten ausüben“ (1997:93) als ursprünglich angenommen.
In seiner Affektlogik hebt Ciompi den Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen Emotion und Kognition hervor, indem er die affektiv steuernde Verankerung der Kognitionen beschreibt und die „Logik“ der Emotionen in einem ganzheitlichen „Denk-/Fühl-/Verhaltensprogramm“ als Konstruktion der Wirklichkeit betont (Ciompi 1997). Es gibt keine kognitiven Zustände ohne Einbeziehung affektiver Faktoren, weil das Gehirn alle kognitiv-sensorischen Informationen affektiv färbt.
Wir wollen im Folgenden für ein ganzheitliches, mehrdimensionales Lernen mit allen Sinnen plädieren, das den Schüler bei seiner Entwicklung und der Konstruktion seiner Persönlichkeit in seiner ganzen Entität rehabilitiert, indem es das autonome Individuum anregt, sich in seiner Einzigartigkeit mit allen seinen Kräften im Wechselspiel mit der Umwelt hervorzubringen.
Kognition und Emotion müssen in ihrer dialektischen Einheit in den Prozess des Lernens mit Kopf, Herz und Hand eingebunden werden, um eine fehlgeleitete Hypertrophie des Kopfes und Amputation der Ganzheit zu verhindern. Dabei soll nicht der Aufbau und der Nutzen von Wissen in Frage gestellt werden, aber das Augenmerk vielmehr auf den Weg und nicht den Inhalt der Wissenskonstruktion gelenkt werden, der sich ohne Anbindung an den Lernenden als toter Stoff erweist.
Wissenschaftliche Forschungen der letzten Jahre haben immer wieder die Bedeutung der emotionalen Komponente des Lernens hervorgehoben, ohne die Lernen gar nicht stattfinden kann. Nun wollen wir nicht leugnen, dass es auch in der Vergangenheit kluge Köpfe gegeben hat, allein schon Herder beklagt sich, dass er ein „Tintenfaß voller Gelehrsamkeit“ sei, und wir wollen keine gelehrten Austern fabrizieren, sondern junge Menschen durch komplexe Lernsituationen in ihrer Ganzheitlichkeit zur Verwirklichung ihrer Individualität anregen. Dabei schließen wir an die humanistische Bildungspädagogik Wilhelm von Humboldts an, die mit einem neurobiologischen Monismus lernpsychologisch und -physiologisch verbunden werden soll.
Neben der Konstruktion von Wissen und interkulturellem Lernen spielt das Behalten im Fremdsprachenunterricht jeden Tag erneut eine wesentliche Rolle. Aus diesem Grunde möchten wir reflektieren, wie das Wissen in unser Gehirn gelangt und dort verankert wird und welche didaktischen Vorteile wir aus den neurobiologischen Erkenntnissen für den Entwurf einer multimodalen Lerntheorie ableiten können, welche die Pluralität der divergierenden Rezeptions- und Verarbeitungsmodi der Lerner berücksichtigt.
Tatsächlich können wir in der Geschichte der Hirnforschung (4) bis ins 19. Jahrhundert von der Kontinuität einer monistischen Betrachtung der Struktur und Funktion des Gehirns ausgehen, deren Wissenschaftlichkeit allerdings erst durch den Gebrauch leistungsstarker Mikroskope und brauchbarer Fixier- und Färbemethoden für Nervengewebe gewährleistet werden konnte. Die Neuronendoktrin von Wilhelm Waldeyer-Harz aus dem Jahre 1891 revolutionierte daher die Gehirnforschung durch den Nachweis, dass das Gehirn wie das gesamte Körpergewebe aus Zellen, die nunmehr als Neuronen bezeichnet werden, aufgebaut ist (Roth 2000:103).
In der modernen Hirnforschung gelingt es heute mit der so genannten transcranialen Magnetstimulation (TMS) Teile der Hirnrinde kurzzeitig „abzuschalten“, indem durch ein magnetisches Wechselfeld die normale neuronale Aktivität lokal unterbrochen wird. Dadurch lassen sich die Folgen einer Hirnläsion bei gesunden Versuchspersonen gezielt simulieren. Die durch solche systematischen Deaktivierungsstudien gewonnenen Ergebnisse (Hilgetag 2002) tragen in wesentlichem Maße zur Klärung der Funktionsprinzipien des Gehirns bei.
Der Mensch ist, weil sein Gehirn lebt, und sein Bewusstsein besteht in dem integrativen Zusammenspiel der Neuronen als Eigensignal des Gehirns. In der modernen Gehirnforschung löst sich heute alles Denken „in einen Prozess physiologischer Reaktionen, in ein biochemisches Zusammenspiel von Milliarden von Nervenzellen auf. Ethik und Moral, der Geist des Menschen, werden als Produkte des organischen Chaos im Gehirn gesehen.“ (Korczak 2000b: 19)
Worin liegt die Einzigartigkeit des Menschen, wenn sein Gehirn dem anderer Wirbeltiere gleicht und das Gehirn der Spitzmaus im Gegensatz zu dem des Menschen nicht zwei, sondern vier Prozent des Körpergewichts ausmacht und das Gehirngewicht des Pottwals (8,5 kg) und des Elefanten (5kg) deutlich höher ist als das des Menschen (1,4 kg)? Wahrscheinlich liegen die Unterschiede in der hohen morphologischen und funktionalen Differenziertheit des menschlichen Gehirns begründet und seinen hochentwickelten Steuerungsmechanismen mit einer Billion Nervenzellen.
Ich fühle, also bin ich. Die neuesten Ergebnisse der Kognitionswissenschaften und Neurobiologie belegen „Descartes’ Irrtum“ (Damasio 1997): Der Dualismus von res cogitans und res extensa, von denkender und materiell-ausgedehnter Substanz, muss durch die Vorstellung abgelöst werden, dass Denken und Fühlen, Rationalität und Emotionalität mit den Funktionen des gesamten Organismus in einer einheitlichen Synthese verschmelzen (1).
« Nous pensons avec notre corps et nos émotions (…) La pensée passe par le corps (…) sans les émotions aucun raisonnement fiable ne pourrait se mettre en place (…) La machinerie de la pensée est donc extrêmement complexe, car elle fait appel à des assemblées de neurones interconnectés dans des zones parfois très éloignées dans le cerveau, sans qu’un centre particulier en soit responsable. » (Chambon 1995 :72-73)
Unter Bezugnahme auf den amerikanischen Neurowissenschaftler Rodolfo Llinàs von der Universität New York bestätigt auch Christiane Holzhey, dass das Bewusstsein aus einer engen Interaktion zwischen dem Thalamus und dem Cortex entstehe, den der Thalamus wie ein Radar nach neuronaler Aktivität abtaste und eine Kontinuität der Wahrnehmung herstelle.
« (...) la
perception repose sur les interactions étroites entre le thalamus et le cortex
(…) Ces propriétés oscillatoires intrinsèques du thalamus et les importantes
connexions entre son noyau central et le cortex génèrent ainsi des états
internes fonctionnels. Le cerveau se comporte donc comme un système fermé et
organisé. Il est actif en lui-même, indépendamment des stimuli extérieurs, et
se crée ses propres images mentales. » (Holzhey 1995 :76)
„Kürzlich wurde ein
alle thalamische Kerne durchziehendes System von so genannten Matrixzellen
entdeckt. Diese zielen mit ihren Ausläufern großflächig in die oberen Schichten
des Cortex. Ebenso wie die intralaminären Kerne können
die Matrixzellen den allgemeinen Aktivitäts- und Bewusstseinszustand des Cortex
regulieren (...) Kurz gesagt, Bewusstsein entsteht dort, wo sich corticales und
limbisches System und damit Wahrnehmungen, Kognition und Gefühle durchdringen
und zur Grundlage unseres handelns werden.“ (Roth 2002:40, 45)
Auch wenn Entscheidungen mit einem kühlen Kopf getroffen werden sollen, finden diese nicht, wie suggeriert, in einer separaten Domäne des Geistes statt, sondern immer nur unter Mitwirkung der Gefühle. Vernunft und Empfindungen werden im Cerebrum oder Großhirn als dem wichtigsten Teil des Zentralnervensystems nicht in zwei durch den Interhemisphärenspalt getrennten und einen Balken (corpus callosum) verbundenen neuronalen Kammern bearbeitet, sondern in einem Verbundsystem netzwerkartiger Verflechtung, in dem rein geistige Aufträge losgelöst von biologischen Regulationsmechanismen gar nicht existieren.
Tatsächlich ist das Zentralnervensystem mit dem gesamten Organismus durch unterschiedliche Komplexitätsstufen neuronaler Schaltkreise verknüpft. Kommissurenbahnen laufen durch den Interhemisphärenbalken und verbinden gleichartige Teile der Großhirnhälften, Assoziationsbahnen verlaufen zwischen verschiedenen Gehirnarealen einer oder beider Hirnhälften, und Projektionsbahnen verbinden das Großhirn mit anderen Bereichen des Zentralnervensystems.
Wenn beide Gehirnhälften auch unterschiedliche Schwerpunkte ausgebildet haben, so verarbeitet das Gehirn Informationen nicht linear und hintereinander, sondern immer parallel und vernetzt. Wir sollten uns daher die Chance eines ganzheitlichen Lernens durch verschiedene Wahrnehmungskanäle nicht entgehen lassen und der Hypertrophie des Kopfes entgegenwirken.
In der Geschichte wurden die Gefühle meistens dem Verstand in ihrer Wertigkeit untergeordnet. Im vernunftbetonten griechischen Denken entschied die willentlich geleitete Tugend über das richtige oder unrichtige Verhalten gegenüber den Passionen. In der christlich-dogmatischen Patristik wurden die weltlichen Affekte als Dämonen betrachtet, die es zu unterdrücken galt, und bei Augustinus diente das Studium der Emotionen der Erkenntnis der eigenen Schwächen und Sündhaftigkeit. Rousseau hingegen betonte, „que le sentiment est plus que la raison“ und Darwin stufte die Gefühle sogar als existentielle Hilfen im Kampf um das Dasein ein.
Zwar mögen Gefühle rationale Entscheidungsprozesse manchmal behindern. Ob diese warnenden Signale jedoch die richtige Entscheidung gefährden oder vielmehr eine falsche Entscheidung zu verhindern helfen, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Dass jedoch die Abwesenheit von Gefühlen richtige Entscheidungsprozesse unbedingt befördere, darf ebenfalls angezweifelt werden, und bestimmte Aspekte von Gefühlen scheinen sogar unentbehrlich für rationales Verhalten. Des Weiteren müssen wir uns fragen, ob ein rein geistiger Mensch, der absolut emotionslos handelte bzw. Gefühlsregungen nur kausal-analytisch und nach den Gesetzen der aristotelischen Logik beurteilte, überhaupt fähig wäre, sozial zu handeln, Sympathien zu empfinden und damit ein ganzheitlicher Mensch zu sein, der sich von einer denkenden Maschine unterschiede?
Der Hippokampus als ein Abschnitt des limbischen Systems ist für die grundsätzliche Reizverarbeitung verantwortlich und gehört evolutionsgeschichtlich zu den ältesten Teilen des Gehirns, in dem phylogenetisch unser Überlebenstrieb programmiert ist. Hier findet nicht nur die Langzeitspeicherung von Informationen statt, sondern in dem benachbarten Mandelkern (Amygdala) als dem Zentrum der Leidenschaften und Gefühle befindet sich auch das emotionale Gedächtnis, welches im Wahrnehmungsprozess unmittelbar Angst und Fluchtreaktion oder Freude und Zuneigung signalisiert. „Die allgemeine Funktion des limbischen Systems besteht in der Bewertung dessen, was das Gehirn tut. Dies geschieht nach dem Grundprinzip „Lust“ und „Unlust“. Für Gerhard Roth ist deshalb das Gedächtnis das wichtigste Sinnesorgan.“(Korczak 2000b: 22)
In Läsionsstudien konnte nachgewiesen werden, dass Affen mit chirurgisch entferntem Mandelkern deutlich weniger Furcht und Aggressivität zum Ausdruck brachten. In Grenzsituationen kann der Mandelkern den Verstand ausschalten, um das Überleben zu sichern, weil die emotionale Erkenntnis als Spontanreaktion auf einen gefühlsbetonten Reiz eine schnellere Handlungsreaktion hervorruft als die kognitive.
Beim Lernen kann dieser Kurzschluss zu einer Blockade der Informationsaufnahme führen, und zwar dann, wenn die Lerninhalte oder die Lehrperson gefühlsmäßig abgelehnt werden. Andererseits kann durch eine angenehme Gefühlserinnerung oder -erregung auch über den Mandelkern eine positive Steigerung der Lernbereitschaft und der Gedächtnisleistung bewirkt werden.
Gefühle sind ein integrativer Bestandteil der Verstandestätigkeiten und eine conditio sine qua non erfolgreichen Lernens. Schürer-Necker fordert auf Grund der positiven Ergebnisse in ihren empirischen Untersuchungen zur Interdependenz von Gedächtnis und Emotion (1994) die in der traditionellen auf rein kognitive Prozesse fokussierten Gedächtnispsychologie bislang vernachlässigte Einbeziehung emotionaler, affektiver und attitudinaler Faktoren in die Lehr- und Lernforschung. Gegenwärtige Untersuchungen und Veröffentlichungen (Möller 1996; Mayring 1999; Jerusalem 1999; Bleicher 2001; Finkbeiner 2001) scheinen nachweislich den besonderen Einfluss emotionaler Einstellungen zum Lernobjekt in Bezug auf die Gedächtnisleistung zu belegen.
Bereits bei der Informationsaufnahme beeinflussen affektive Einstellungen wie Angst oder Freude die kognitive Wahrnehmung des Lernobjekts, welches niemals objektiv gegeben ist, und häufig muss ein globaler Eindruck als affektives Vorurteil durch die Analyse der Detailinformationen im Nachhinein korrigiert werden. Diese Beobachtungen bestätigen die Annahme Piagets, dass jedwedes Verhalten durch affektive Faktoren bestimmt wird, die allerdings wiederum durch die wahrnehmungsbedingten kognitiven Strukturen determiniert werden, sodass sich ein dialektisches Bedingungsverhältnis beider entwickelt: Wahrnehmung und Anschauung bestimmen die kognitive Struktur, die mit den Affekten interagiert.
Diese Anschauungen werden in der heutigen Forschung auch neurobiologisch belegt:
« Les images mentales issues de ces
représentations potentielles sont liées à des perceptions et à des étmotions,
qui sont elles-mêmes étroitement associées à des états du corps. Elles sont
positives ou négatives selon qu’ils s’agit de sensations agréables ou
désagréables. Antonio Damasio parle de « marqueurs somatiques ».
Somatiques parce qu’il s’agit du corps, et marqueurs parce que ce sont des
repères qui se constituent au cours des expériences de la vie. Ce sont eux qui
orientent le raisonnement et permettent d’éliminer des solutions qui ne sont
pas satisfaisantes pour l’individu ou, au contraire, de se tourner vers des solutions
dont on imagine les conséquences comme positive. » (Chambon 1995 :73)
Das Lernen darf nicht auf einen rein behavioristisch-mechanizistischen Reduktionismus zurückgeführt werden, sondern muss in komplexe Relationen der Ganzheitlichkeit integriert werden. Lernerinteresse und positive Gefühle wirken sich auf die Beurteilung des Lerngegenstandes aus und führen zu qualitativ höherwertigeren assoziativen Strukturen. So besagt das Phänomen der Stimmungskongruenz, dass Informationen besser behalten werden, „deren Valenz mit der Stimmung des Individuums kongruent ist.“ (Bless 1999:11) Positive Stimmung begünstigt das Erinnern von positiver Information, während bei schlechter Stimmung nur negative Informationen einen Gedächtnisvorteil erlangen.
Das Phänomen der Zustandsabhängigkeit im Lernprozess stellt demgegenüber die Interdependenz zwischen der Stimmung zum Zeitpunkt des Lernens und der Stimmung zum Zeitpunkt des Erinnerns dar. Entsprechen die emotionalen Zustände bei der Erinnerung denen der Informationsaufnahme und -abspeicherung, so kann das gelernte Material besser reproduziert werden. Werden Vokabeln beispielsweise in guter Stimmung gelernt, so können sie auch in guter Stimmung besser wiedergegeben werden, wohingegen eine negative Atmosphäre die Reproduktion behinderte. Beiden Modellen liegt offensichtlich die Tatsache zu Grunde, dass im Gedächtnis repräsentierte Begriffe nicht nur semantisch, sondern auch emotional wie Knoten durch die Maschen in einem assoziativen Netzwerk verbunden sind. Das neuronale Aktivierungspotential wird daher bei emotionskongruenten Begriffen oder bei Stimmungskongruenz durch die Verbindung von Emotion und Kognition gesteigert und die Wahrscheinlichkeit des Behaltens und Erinnerns durch den Intensitätsgrad der neuronalen Erregung determiniert.
Andererseits konnte auch nachgewiesen werden, dass Emotionen Aufmerksamkeit binden und dadurch kognitive Ressourcen bei der Aufgabenlösung schwächen und zur Leistungsbeeinträchtigung führen können. Eine weitere Differenzierung liegt in der Denkstilhypothese vor, die davon ausgeht, dass negative Emotionen eher einen sequentiell-analytischen Verarbeitungsmodus initiieren, während positive Gefühle einen intuitiv-holistischen Modus begünstigen (vgl. Abele 1999:32).
Bei der Lösung von Problemen oder Aufgaben ist die Stoffwechselaktivität des Gehirns besonders hoch. Nachdem der Lerngegenstand durch die Sinnesrezeptoren wahrgenommen worden ist, ruft das Gehirn zunächst vorhandene Informationen im Gedächtnis auf und die möglichen Lösungswege werden vom limbischen System gefühlsmäßig bewertet. Widersprechen die neuen Informationen den abgespeicherten Gedächtnisspuren, so werden sie im Allgemeinen zunächst abgelehnt oder verdrängt, weil das Gehirn versucht die alten Interpretationsschemata, die innerhalb der entstandenen kognitiven Dissonanz (Korczak 2000b:25) perturbiert werden, aufrecht zu erhalten, weil das limbische System die gespeicherten Informationen höher bewertet als die neuen. Wenn es daher nicht gelingt, das Neue durch die Reaktivierung von Vorkenntnissen an vorhandene Deutungsmuster anzukoppeln und emotional positiv zu bewerten, wird das Lernen erfolglos bleiben. Psychologisch betrachtet wird das Lernen daher insbesondere durch das beeinflusst, was der Lernende bereits weiß.
Die Einstellungsforschung rekurriert auf ein bereits auf Platon zurückgehendes dreidimensionales Konzept vom Menschen. Mummendey untersucht in seinem Einstellungsmodell (1988) das Verhalten des Lerners gegenüber dem Einstellungsobjekt auf der Ebene der Kognition (objektiv-deklaratives Wissen, Denken, subjektiver Glauben), der Affektion (Fühlen, Empfinden) und des Wollens und offenen Handelns. Diese Betrachtung und Erforschung der Mehrdimensionalität der Verhaltenseinstellungen des Lernenden und seiner ganzheitlichen Bewertung der Eigenschaften des wahrgenommenen Lerngegenstandes führt in dem erwähnten Dreikomponentenmodell zu einer selektiv erfassten Einbeziehung und Hervorhebung der Einwirkung affektiver Zustände auf Lehr- und Lernprozesse, die bislang in der pädagogischen Psychologie sowie der Spracherwerbsforschung vernachlässigt worden sind (vgl. dazu auch Finkbeiner 2001).
In einem empirischen Forschungsprojekt im Rahmen der psychologischen Wohlbefindensforschung werden an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg (Bleicher u.a. 2001) die emotionalen Faktoren Schulangst und - wohlbefinden in ihrem Einfluss auf Lern- und Leistungssituationen untersucht. Erste Untersuchungsergebnisse scheinen Studien von Abele (1995) zu bestätigen, der nachwies, dass positive Stimmungen ein besseres Memorisieren und schnelleres Problemlösen ermöglichten, sowie von Jerusalem und Pekrun (1999), der Angst und Freude als zentrale Lernemotionen herausstellte. Eine quantitative und qualitative Untersuchung an Gymnasien, Real- und Hauptschulen zeigte den engen Zusammenhang von Wohlbefinden und Interesse auf; allerdings scheinen Schüler Freude und Interesse eher am eigenen Lernen festzumachen als am Lerninhalt, wie sich in einem qualitativen Ergebnis feststellen ließ (Bleicher 2001:544). Emotionale Aspekte des Lernens dürfen daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen mehrperspektivisch in den Kontext der Lernsituation eingebunden werden, da kognitive Lernprozesse immer auf Inhalte, Einstellungen sowie die Selbtreflektion der Lerneridentitäten bezogen sind.
Schon seit der griechischen Antike ist bekannt, dass die Verknüpfung unterschiedlicher Sinne zu besseren Behaltensleistungen führt. In diesem Zusammenhang stellt Ludger Schiffler nun in seinem Aufsatz Neuere physiologische Untersuchungen des Gehirns und des Fremdsprachenlernens (2000) eine Verbindung zwischen den Mnemotechniken der Antike und aktuellen Erkenntnissen der neurobiologischen Forschung her, indem er die schon von Holtwisch (1992/1998) vertretene These, dass sich polymodales Lernen durch die Verknüpfung mehrerer Sinne behaltensfördernd auswirkt, nachweislich unterstreicht.
Durch moderne bildgebende Verfahren wie die Magnetencephalographie (MEG) oder die Positronenemissionstomographie können wir heutzutage die Gehirnfunktionen non-invasiv beobachten und Stoffwechselvorgänge sichtbar machen. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass die für die Sprache zuständigen Regionen, nämlich das Brocazentrum, das für die Sprachmotorik, Lautbildung, - analyse, - artikulation und die Bildung abstrakter Wörter verantwortlich ist, und das Wernicke Sprachzentrum, welches vor allem für die logische Verarbeitung der Sprache und die auditive Sensorik zuständig ist, innerhalb der linken Gehirnhemisphäre assoziationistische neuronale Verknüpfungen aufweisen (2) und beide interhemisphärisch durch den Balken mit der rechten Gehirnhälfte verbunden sind:
„Broca’s
and Wernicke’s areas play a critical role in language functions, whereas the
inferior temporal cortex of the right hemisphere tends to be associated with
high-level visual recognition (...) First, the presence of direct connections
from the right inferior temporal cortex to the speech areas indicates that
human interhemispheric connections can be widely heterotopic. Second, the fact
that connections from the inferior temporal cortex terminate in both Wernicke’s
and Broca’s areas speaks in favour of parallel pathways in visuo-verbal
processing. (Di
Virgilio/ Clarke 1997:347)
Nachgewiesen werden konnte ebenfalls, dass das Broca-Zentrum bei Frauen um 20%, das Wernicke-Zentrum sogar um fast 30% größer ist als bei Männern, welches die seit langer Zeit beobachtete Tatsache bestätigen würde, das Frauen in der verbalen Kommunikation und in ihrem Ausdrucksvermögen Männern im Allgemeinen überlegen sind:
Since
women perform better on verbal fluency tasks than men, we hypothesised that
cortical regions involved in verbal fluency would show greater gray matter
volume in women. (…) It has been established that there are subtle sexual
differences in human cognitive
functions (…) A consistent finding is that males tend to perform better in
tasks requiring the mental ability to retain and manipulate spatial and numeric
data that cannot be solved verbally (…) whereas females generally have greater
verbal abilities (…) Women had 23.2% and 12.8% greater gray matter percentages
than men in a language-related cortical region (…) (Schlaepfer 1995: 130ff.).
Der französische Chirurg Paul Broca hatte schon 1861 nachgewiesen, dass Läsionen im unteren Abschnitt der dritten Stirnwindung in der später nach ihm benannten Brocaschen Sprachregion zu einem motorischen Sprachversagen führten, welches dem Patienten keine geordnete Lautartikulation mehr erlaubte. Das Sprachverständnis wurde allerdings nicht beeinträchtigt.
Der deutsche Nervenarzt Carl Wernicke entdeckte 13 Jahre nach der Beschreibung der motorischen Aphasie durch Borca eine sensorische Aphasie, bei der das Sprachverständnis der Patienten sehr gestört war. Sie waren zwar weiterhin zunächst in der Lage relativ flüssig zu artikulieren, weil das Broca-Zentrum intakt geblieben war, konnten jedoch gesprochene Wörter nicht mehr richtig identifizieren, sodass die Muttersprache ihnen wie eine Fremdsprache erschien.
Da die differenzierte Wahrnehmung und Analyse von Sprachlauten nicht nur die Voraussetzung für das Verstehen, sondern insbesondere auch für die richtige Aussprache von Worten mit Hilfe des motorischen Brocazentrums ist, führte die sensorische Aphasie schließlich auch zu einer starken Einschränkung der Lautproduktion (Sinz 1978:135).
5. Interdependenz und Funktionalität der linken und rechten
Gehirnhälfte
Die relative Spezialisierung der Gehirnareale sowie der linken und rechten Gehirnhälfte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die funktionelle Plastizität des Gehirns auch in bedingter Form interhemisphärische Aufgaben gelöst und Informationen ausgetauscht werden können, selbst wenn der interhemisphärische Balken fehlt oder durchgetrennt ist, wie Untersuchungen an Spalthirn-Patienten gezeigt haben.
Bei angeborenem Balkenmangel konnten nahezu alle Funktionen durch die Aktivierung von Verknüpfungen im Stammhirn und anderer Gehirnareale kompensiert werden. Die klinische Untersuchung einer Patientin in Los-Angeles, bei der abwechselnd beide Gehirnhälften betäubt wurden, konnte sogar eine bedingte Sprachfähigkeit in der rechten Gehirnhälfte nachweisen (Sinz 1978:172). Dieses Ergebnis bestätigt die dynamische Plastizität des Gehirns, welches in der Lage zu sein scheint, durch Läsionen ausgefallene Areale durch andere Verknüpfungen zumindest partiell zu ersetzen. Collins geht sogar von der Annahme aus, „that both hemispheres can make lexical decisions without the necessity for callosal relay of information, and words are primarily encoded in the hemisphere to which they are initially projected.” (Collins 1998:29)
Molfese und Segalowitz (Tappe 1999:60f.) statuieren in ihrer Äquipotentialitätshypothese, dass beide Gehirnhälften in der postnatalen Phase zunächst gleiche Funktionen übernehmen können, welches durch die Beobachtung gestützt wird, dass bei jungen Hemisphärektomie-Patienten die Übernahme der Sprachfunktionen durch die rechte Hemisphäre gegeben ist. Die Lateralisierung und Spezialisierung der kognitiven Funktionen würde sich dann erst im Zuge der physiologischen und psychologischen Entwicklung der Kinder bis etwa in das 12. Lebensjahr herausbilden, sodass die Hirnplastizität mit zunehmendem Alter immer weiter abnehmen würde.
Seit Ende der 70er Jahre wurde die Äquipotentialitätshypothese jedoch immer nachdrücklicher zu Gunsten einer angeborenen Hemisphärenspezialisierung mit der Anlage einer prä- oder postnatal vorhandenen Lateralisation kognitiver Fähigkeiten in Frage gestellt (Tappe 1999:62). Die Genesung bei linksseitigen Hirnläsionen wird in diesen Konzeptionen vielmehr auf eine Reorganisation der linken Hemisphäre zurückgeführt als auf die Übernahme sprachlicher Funktionen durch die rechte Hemisphäre. Wenn die Entwicklung oder die Anlage der Lateralisation bei der Geburt bereits abgeschlossen wäre, würden durch die Maturation des Corpus-Callosum nur noch bedingte Veränderungen der Hemisphärenspezialisierung herausgebildet. Ob die „Lokalisierungsmuster nur zum Teil oder vollständig auf verschiedene Verarbeitungsstile der beiden Hemisphären zurückführbar sind, steht beim jetzigen Stand der Forschung“, so Tappe, „noch aus.“ (Tappe 1999:68).
A. Friederici verweist unter Rekurs auf Moscovitch in ihrer Inhibitionshypothese auf die Tatsache, dass die Sprachdominanz der linken Hemisphäre auch durch die Inhibition der rechten Gehirnhälfte erklärt werden kann. Untersuchungen an „split-brain“ Patienten haben belegt, dass die linke Gehirnhälfte die rechte in linguistischer Hinsicht bei Sprachverarbeitungsprozessen hemmte, sodass sich die rechte Hemisphäre bei gesunden Patienten minder ausbildete. Bei Spalthirn-Patienten hingegen, bei denen die inhibitorischen Einflüsse keine Rolle spielten, konnten die Sprachfunktionen von der rechten Hemisphäre übernommen werden. Eine weitere Unterstützung für diese Hypothese wurde durch Untersuchungen bei Läsionen in der linken Hemisphäre aufgezeigt, die zu Sprachausfällen führte, weil nach der gesamten chirurgischen Entfernung der linken Hemisphäre diese Defizite nicht mehr zu beobachten waren (Friederici 1984:28).
In der neueren Hirnforschung ist sogar von einem „Wettstreit der Hemisphären“ die Rede, welche die Inhibitionshypothese Moscovitchs stärken würde. Hilgetag geht davon aus (2002:10), dass die linke und rechte Hemisphäre miteinander in einer Art „Aufmerksamkeits-Wettbewerb“ stehen. Durch die jeweilige Aktivitätsleistung oder -steigerung der einen Hirnhälfte werde, so Hilgetag, die andere in ihrer Funktionsweise unterdrückt. Dieses führe auch dazu, dass bei einer Schwächung der rechten Regionen die linke Hirnhälfte von ihrer normalen Hemmung durch die rechte Hemisphäre befreit würde und eine übernormale Aktivität entwickele. Wenn dieser „Wettstreit“ ein generelles Funktionsprinzip des Gehirns sein sollte, so würden dadurch Ressourcen optimal zugewiesen und die Plastizität gefördert.
Die Hypothese der zerebralen Asymmetrie, welche von der absoluten Dominanz der linken Hemisphäre ausging, wird in aktuelleren neurobiologischen Untersuchungen nicht bestätigt. Während die linke Gehirnhälfte insgesamt für die Lautbildung, das analytische Denken sowie die kognitive und sequentielle Verarbeitung von Informationen verantwortlich ist und auf ein wissenschaftliches, semantisches und explizites Wissen ausgerichtet ist, verarbeitet die rechte Gehirnhälfte visuelle Erkenntnis, d.h. bildliches, topologisches und ortsverbundenes Wissen, das an die persönliche Lebensgeschichte des Lerners anschließt. Die rechte Hemisphäre ist nicht nur nicht passiv und der linken unterlegen, sondern in Bezug auf räumliches Abstraktions- und Vorstellungsvermögen sowie visuelle und taktile Formerkennung sogar dominant und beide Hemisphären interagieren in einer ganzheitlichen Verknüpfung.
6. Imagino, ergo cognosco: Verarbeitung von Wörtern und Bildern
Sprachliche Zeichen werden durch verbale oder non-verbal piktorale Formate bzw. Symbolsysteme kodiert und repräsentiert und aktivieren unterschiedliche Sinnesmodalitäten. Im Allgemeinen wird jedes Medium, ob Text, Bild oder Ton, in einem spezifischen Code als konventionalisiertem Symbolsystem erfasst und mit dem ihm entsprechenden Sinnesorgan monomodal rezipiert. Monomediale Bücher, statische oder bewegte Bilder, werden in Form von Texten, Bildern oder Videos visuell und monokodal rezipiert. Das gesprochene Wort oder Musik hingegen werden nicht visuell oder non-verbal, sondern monomodal-auditiv kodiert und perzipiert.
Multimedialität definiert sich durch die digitale Verschmelzung von Text, Bild, Video- und Audiodateien in demselben medialen Träger als Medienverbund in einer einzigen Benutzerplattform, sodass die Rezeption nicht nur über verschiedene Sinnesorgane verwirklicht, sondern auch in unterschiedlichen Kodierungen repräsentiert wird. Die Modalität beschreibt die Angabe der Sinne und Wahrnehmungskanäle, die bei der Rezeption medialer Angebote als Ensemble von Bild, Text und Ton interagieren, und die Kodierung indiziert die zugeordnete konventionalisierte Struktur der Informationsträger. Multimediale Medien erweisen sich dabei als multikodal und multimodal.
Die schon vor 20 Jahren aufgestellten psychologischen Annahmen von Paivio (1979) über die kognitiv-emotionale Interdependenz in Lernprozessen und die duale Kodierung von Bildern und Wörtern wird heute durch die neurophysiologischen empirischen Untersuchungen von Collins und Coney (1998) bestätigt: Demnach können Wörter besser verarbeitet und behalten werden, wenn sie durch gleichzeitige bildhafte Assoziationen und Visualisierungen und die damit verbundenen Konstruktionen mentaler Bilder in einem multisensorischen Lernzusammenhang semantisiert werden.
In general, our
research is consistent with the view that the left hemisphere lexicon is
comprised of a complex network of abstract, low imagery, and concrete words,
while the right hemisphere operates as a subsidiary word processor, subserving
linguistic processing with a limited, special purpose lexicon comprised of
associative connections between concrete, imageable words. (Collins 1998:49)
In Anschluss an Paivio versucht auch Engelkamp in seiner multimodalen Theorie des Gedächtnisses (1990:62) den Bildüberlegenheits-Effekt zu erklären. Engelkamp postuliert, dass bei der Wahrnehmung verbale und nonverbale Konzepte gedächtnispsychologisch in zwei qualitativ verschiedenen Systemen modalitätsspezifisch in Form von Wort- oder Bildmarken abgespeichert werden, die jedoch miteinander interagieren. Da die Bildmarken als einheitliche Referenzkonzepte im Gegensatz zu verbalen Repräsentationen nicht sequentiell, sondern einheitlich holistisch abgespeichert und repräsentiert werden, hinterlassen sie eine reichhaltigere Gedächtnisspur und sind bei der Reproduktion als mentale Bilder simultan verfügbar.
Während Texte zur Konstruktion von propositionalen Repräsentationen und entsprechenden mentalen Modellen führen, ermöglicht eine Graphik oder ein Bild als externe analoge Repräsentation die unmittelbarere Konstruktion eines mentalen Modells. Bei einer multimedialen Präsentation von Lehrmaterialien entstehen durch die Kontiguität von Text und Bild multikodale Behaltensvorteile, weil der Lerner bildhafte und propositionale Repräsentationen referentiell aufeinander bezieht und integriert. Durch den Wechsel der Referenzen in multiplen Repräsentationsformen und die multikodale Enkodierung der Informationen wird der Lernprozess in mentalen Modellen dynamisiert.
Paivios Theorie der behaltenfördernden Wirkung mentaler Repräsentationen im Rahmen einer dualen Kodierung von verbal-begrifflichen Logogenen und bildhaft-anschaulichen Imagenen wird auch von Sumfleth und Telgenbüscher (2001) bestätigt, die empirische Untersuchungen zur Förderung der Verarbeitungsintensität beim Chemielernen mit Hilfe von Bildern (2001) durchgeführt haben. Unter Bezugnahme auf Paivio, Schnotz (1993), Weidenmann (1995) und Tergan (1997) lautet ihr Fazit folgendermaßen: Multiple Repräsentationen des Inhalts (Sprache, Bilder) erhöhen die Effektivität des Lernens durch die Entwicklung multipler Repräsentationen, die simultan durch verschiedene Wahrnehmungsmodi rezipiert, in verschiedenen kognitiven Systemen repräsentiert und in verschiedenen Hirnarealen verarbeitet werden (Sumfleth 2001:441).
Kognitionspsychologisch korrelieren mit den beiden verbalen und non-verbalen Kodierungssystemen zwei quantitativ verschiedene, aber interagierende Verarbeitungssysteme, welche die sensorisch wahrgenommenen Daten in unterschiedlichen mentalen Formaten repräsentieren. Die „Reiz-Kodierungen“ und deren interne mentale Repräsentation stehen jedoch in keinem eindeutigen inhaltlichen Bezugssystem, sondern werden vom Rezipienten innerhalb seiner Kognitionsapparatur und seines Konventionssystems konstruiert. Es ist nach Weidenmann (1995:66) daher ein Irrtum zu glauben, dass bildhafte Sinneseindrücke oder Texte jeweils in nur einem Kodierungssystem kodiert und gespeichert würden. Das Gehirn verfüge vielmehr in flexibler Form um eine Vielzahl von Kodierungsmöglichkeiten, die miteinander verflochten seien und in unterschiedlichen Gehirnarealen interagierten. Insofern fasse die Doppelkodierungs-Theorie Paivios als „Summierungstheorie der Sinneskanäle“ zu kurz.
Unterschiedliche monokodale Informationen könnten durchaus mental gleich repräsentiert werden. Eine textlich kodierte Geschichte kann also, aufbauend auf propositionale Repräsentationen, ebenfalls mentale Bilder evozieren, welche die geschilderten Situationen widerspiegelten. Trotz verschiedener Inputformen könnte also ein zumindest ähnliches mentales Modell entstehen.
Nicole Stadie stellt in ihren Neurolinguistischen Untersuchungen zur Verarbeitung von Bildern und Wörtern (1999) die von Paivio exponierte Dual-Code-Annahme als zentrale Streitfrage in den Blickpunkt der Forschung und untersucht, ob Wörter und Bilder tatsächlich separat in modalitätsspezifischen Gedächtnissystemen repräsentiert werden, wie Paivio behauptet hatte.
Die Vertreter der amodalen oder modalitätsunspezifischen Common-Code-Theorie (Pylsyshyn, 1973; Anderson, 1976; Potter 1984) sind der Auffassung, dass Bedeutungsrepräsentationen unabhängig von ihrer Darbietungsmodalität entstehen können und postulieren gemeinsame konzeptuelle Repräsentationen, weil „die zu Grunde liegenden Konzepte mental als ein Bündel von Elementen oder Eingängen repräsentiert werden und in einer Beziehung zueinander stehen“ (Stade 1999:31). Lexeme sind durch assoziative Relationen miteinander verbunden, und visuelle Elemente werden durch strukturelle Ähnlichkeit determiniert. Es ist daher denkbar, dass es im semantischen Kategorisierungssystem eine Schnittstelle oder Interaktion der Verarbeitungsebenen für Bilder und Wörter gibt, die bei unterschiedlicher Darbietung durch die vernetzte Bündelung von definierten Merkmalen zu ähnlichen oder sogar identischen Repräsentationen führen kann.
Der Begriff Gedächtnis bezieht sich auf verschiedene Formen des Erwerbs, der Abspeicherung und Reproduktion von Wissen und integriert Kenntnisse über die Wirklichkeit, kognitive Operationen und Prozesse sowie perzeptuell-motorische und kognitive Fertigkeiten, die für das Überleben und Verhalten des Menschen nutzbar gemacht werden. „Gedächtnis ermöglicht die Nutzung von Ereignissen, die zu einem früheren Zeitpunkt t1 gehören, zu einem späteren Zeitpunkt t2.“ (Kochendörfer 1999:12)
Das Gedächtnis ist eine Leistung des Gehirns und Medium aller psychischen Zustände und Prozesse wie Perzeption, Kognition, Emotion, Motivation, Wollen und Lernen. Es ist die materielle Basis als Träger der Konstruktion einer mentalen Repräsentation, die auf der strukturell-apparativen Grundlage eines neuronales Netzwerkes gewährleistet wird und für das Überleben in der Umwelt verantwortlich ist. Die biologische Verarbeitung von Informationen hat sich im Verlaufe der Evolution herausgebildet und erlaubt die Konstruktion kohärente Bilder unserer Umwelt.
Das Gedächtnis unterscheidet nicht zwischen aktiven Verarbeitungskomponenten und passiven Speicherkomponenten, sodass alle Prozesse durch das Gehirn als Produkt der Vergangenheit phylogenetisch und a priori bestimmt werden und schon die Perzeption als subjektive Konstruktion der Welt verstanden werden muss. Nur ein Hunderttausendstel der Informationen stammt von den Sinnesorganen, während alles andere aus dem phylogenetischen Speicher des Gehirns beigetragen wird.
„Für das Entstehen von Bewusstsein ist besonders
wichtig, dass jede der rund 50 Milliarden Nervenzellen in der Großhirnrinde mit
jeweils tausend bis zehntausend anderen verbunden ist. Daher übertreffen die
Verbindungen innerhalb der Großhirnrinde mit rund 500 Billionen die Zahl der
ein- und Ausgänge um das millionenfache. Dies wiederum bedeutet: Wenn auch die
Großhirnrinde mit dem Rest des Gehirns und über die Sinnesorgane und den
Bewegungsapparat mit dem Körper und der Umwelt in Verbindung steht, spricht sie
doch im Wesentlichen mit sich selbst.“ (Roth 2002:45)
Die Realität stellt die transzendentale Grundlage des Gehirns dar, welche die Welt so erkennt, wie sie uns durch die mittelbare Wahrnehmung erscheint, und nicht so, wie sie tatsächlich sein mag. Schon der Akt der Wahrnehmung über elektromagnetische Signale ist eine Form der Interpretation der Welt, die wir auf der Grundlage unserer biologischen Funktionen konstruieren.
„Die bedeutungskonstituierenden Regeln der
Wahrnehmung ergeben sich nach Auffassung der Hirnforscher aus den
stammesgeschichtlichen Vorerfahrungen und neu erworbenen erfahrungsbedingten
Regeln. Die neuen Informationen werden im Gedächtnis abgelegt und beim
Auftreten neuer, noch nicht bekannter Reize, zur Interpretation und Einordnung
wieder herangezogen. Das Gehirn ist aufgrund dieses Funktionsablaufes generell
„lernwillig“. In der Entwicklungspsychologie würde man diese Lernbereitschaft
als „intrinsische Motivation“ bezeichnen.“ (Korczak 2000b: 21)
Alle funktionalen Prozesse des Gedächtnisses sind an strukturelle Vorgaben des Gehirns gebunden und bedingen den Wissenserwerb in unterschiedlicher Gestalt. Die Bedeutungszuweisung der an sich bedeutungsfreien neuronalen Prozesse geschieht durch Konstruktion und Interpretation der stammesgeschichtlich gegebenen und durch die Erfahrung gespeicherten Wissensbestände.
Das
Gedächtnis ist sowohl für das Identitätsgefühl des Menschen, d.h. sein
Ich-Bewusstsein innerhalb seiner Lebensgeschichte verantwortlich als auch die conditio sine qua non des Lernens, welches
sich als über die aktuelle Gegenwart hinausgehende angeeignete, verfügbare
Erfahrung definieren lässt. Es ist somit auch das Endprodukt eines
Lernvorgangs.
Wenn wir die verschiedenen Grundpositionen und Etiketten des Gedächtnisses in der einschlägigen Literatur betrachten, scheint es uns sinnvoll, den Begriff eher im Plural zu verwenden und auf gängige Differenzierungen zu verweisen, die innerhalb der umstrittenen Gedächtniskonzeptionen einen relativen Konsens genießen (Kochendörfer 1999:9f.). Die Gedächtnistaxonomie unterscheidet im Allgemeinen in ihren definitorischen Benennungen zunächst zwischen sensorischem (ikonischen und echoischen) Gedächtnis sowie zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis.
In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass kein zentrales Gedächtnis im Gehirn gibt. Die verschiedenartigen Leistungen der Gedächtnisse und der ihnen zu Grunde liegenden biologischen Prozesse laufen in verschiedenen Gehirnarealen ab. Diese sind jedoch nicht modular gegeneinander abgegrenzt und lassen sich als Apparaturen nicht eindeutig abgegrenzten Strukturen zuordnen, sondern sind ganzheitlich über Dendriten, Axone und Synapsen miteinander vernetzt und stehen in ständigem aktiven Informationsaustausch (2). Das Gedächtnis ist kein einheitliches Gebilde, sondern ein aus unterschiedlichen neuronalen Netzwerken bestehendes Systemgeflecht.
Das Gehirn steht über Sinnesrezeptoren in Kontakt mit der Außenwelt, die physikalische und chemische Umweltreize in Nervenimpulse umwandeln. Anschließend werden diese Nervenimpulse vom Gehirn interpretiert und entsprechenden Arealen zugeordnet. Das sensorische Gedächtnis speichert die durch die Sinnesorgane aufgenommenen Reize, deren Behaltensdauer weniger als 1 Sekunde beträgt, in visuellen oder akustischen Registern, sodass Hören und Sehen über den rein physikalischen Reiz hinaus im sogenannten Ultrakurzzeitgedächtnis für das Gefühl der Kontinuität der Erfahrung verarbeitet werden können. Das Fassungsvermögen des sensorischen Registers ist sehr groß, weil es permanent affiziert wird. Die visuelle Erinnerung dauert etwa eine halbe Sekunde, die akustische Erinnerung (Echo) hält mehrere Sekunden.
Das Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis, welches als Metapher in Analogie zur Computerwissenschaft auch als Arbeitsspeicher bezeichnet wird, ist ein temporärer Speicher für Informationen über die Dauer von 20 Sekunden bis zu höchstens einer Minute, deren Inhaltsrepräsentationen an eine andauernde neuronale Aktivität gebunden sind. Die Inhalte bzw. die Gedächtnisspuren gehen also verloren, sobald die verursachende neuronale Aktivität wegfällt, und die Gedächtnisleistung klingt ohne neuronale Stützungsaktivität schnell ab. Es ermöglicht die kognitiven Operationen durch das kurzfristige Behalten und Manipulieren von Informationen.
Im Langzeitgedächtnis werden mittels tetanischer Reizung die durch die Verstärkung vorhandener Synapsen aus dem sensorischen und dem Kurzzeitgedächtnis vermittelten Informationen über die Welt abgespeichert. Es ist nicht an aktuelle Verarbeitungsabläufe gebunden, übersteht in der Dauer eine Schlafphase und ist von nahezu unbegrenzter Kapazität.
Zusätzliche Differenzierungen des Langzeitgedächtnisses sind deklaratives versus prozedurales Gedächtnis. Das deklarative oder explizite Gedächtnis bezieht sich auf die Speicherung bewusst abrufbaren Wissens (knowledge) und wird weiter untergliedert in episodisches und semantisches Gedächtnis. Das deklarative Gedächtnis ist insbesondere die Leistung des Inferotemporalkortex und des limbischen Systems mit dessen Strukturen Hippocampus, Amygdala und Mammillarkörper. Diese Strukturen dienen unter anderem als Durchgangsstationen zur Speicherung im Langzeitgedächtnis, welche in verschiedenen Regionen der Hirnrinde stattfindet.
Das episodische Gedächtnis bezieht sich insbesondere auf die Erlebniswelt, in der individuelle zeit- oder ortgebundene Informationen abgespeichert werden. Es stützt sich auf persönliche Erfahrungen und erlangt durch den kontextabhängigen Aufbau von Wissen einen autobiographischen Charakter.
Im semantischen Gedächtnis werden kontextunabhängiges Wissen und Kenntnisse über die Welt in der allgemeinen Form von Faktenwissen und Daten zugeordnet. Beide Gedächtnistypen haben gemeinsam, dass die daraus abgerufenen Informationen wieder zu Bewusstseinsinhalten werden können und sie neurobiologisch eine Verknüpfung zum limbischen System und damit auch zu den emotionalen Komponenten des Lernens aufweisen.
Aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass beim Abruf affektiv-autobiographischer Gedächtnisspuren sowohl das Stirnhirn als auch der temporopolare Bereich der rechten Gehirnhemisphäre aktiviert werden. Die Reproduktion von Wissen scheint tatsächlich leichter vor sich zu gehen, wenn bei der Reaktivierung der neuronalen Spuren die gleiche affektive Stimmungslage besteht wie bei der Informationsaufnahme, weil Gedächtnis und Affekt in ständigem Austausch stehen.
Das prozedurale Gedächtnis ist für kognitive Operationen und Handlungsabläufe sowie perzeptuell-motorische Fertigkeiten verantwortlich. Es ist implizit und speichert unbewusst abrufbare Informationen über Gewohnheiten, Wahrnehmungsstretegien und Assoziationen. Diese Handlungsabläufe und Fertigkeiten stellen weitgehend automatisierte Handlungsabläufe dar, die vorwiegend im Kleinhirn abgespeichert sind. In der Computermetaphorik gleicht das prozedurale Gedächtnis in seiner Funktionsweise eher einem Programm oder einer Anwendung als der bloßen Abspeicherung von Daten. Der Abruf des impliziten Wissens ist an die Situation des Wissenserwerbs gebunden.
Aus linguistischer Perspektive bleibt strittig, ob sich die Sprachkompetenz, insofern sie sich dem bewussten Zugriff des Sprechers entzieht, dem prozeduralen Gedächtnis zugeordnet werden muss, oder auf Grund des Lexikonvorrates als begriffliches Wissen über die Welt durch die Zuordnung zu Objekten dem deklarativ-semantischen Gedächtnis. Schließlich wirft Kochendörfer in diesem Zusammenhang auch die Frage auf, „wo das Ergebnis eines Textverstehensprozesses einzuordnen ist: Faktenwissen (= semantisches Gedächtnis) oder Erlebnisinhalt (= episodisches Gedächtnis)?“ (Kochendörfer 1999:16)
8. Korrespondenz
der Gedächtnisse in einem interhemisphärischen Gehirn
Tatsache ist, dass umfangreiche Datenströme zwischen den einzelnen Gedächtnisstypen zirkulieren und in der Interdependenz vernetzt sind, sodass wir von einer „verteilten“ oder ganzheitlichen Organisation der Gedächtnisse sprechen können und rein modulare Gedächtnismodelle ablehnen. Die Gedächtnisleistungen sind über den gesamten Langzeitspeicher verteilt und unauflösbar miteinander verbunden. Auf allen Ebenen des zentralen Nervensystems werden korrespondierende oder funktionell zusammengehörige Strukturen durch Verbindungsfaserbündel, den sogenannten Kommissuren, interhemisphärisch auf vielfache Weise verbunden (Tappe 1999:53).
Diese Beobachtungen von Tappe werden auch von Kochendörfer unterstützt, der feststellt, „dass weit voneinander entfernte Neuronen phasenverschoben-synchron feuern oder dass die Zerstörung einzelner Neuronen die Spur eines Konzepts im Gedächtnis nicht unbedingt zum Verschinden bringt (Kochendörfer 1999:163). Es bestehen vermutlich parallele Verarbeitungswege, die sich auf unterschiedliche Strukturkombinationen zur Aufnahme, Einspeicherung, Festigung, Ablagerung und Reproduktion von Wissen zurückführen lassen.
Wir nehmen zwar relative Hemisphärendominanzen und Domänenspezifitäten innerhalb einer neuroanatomischen Modularitätszuordnung an, verwerfen jedoch die Vorstellung einer unilateralen mentalen Repräsentation, da die Gehirnhälften untereinander kooperieren, und zwar nicht nur über das „Corpus-Callosum“. Die linke und rechte Gehirnhälfte haben zwar spezifische Funktionen ausgebildet, allein darf diese Beobachtung nicht über die ganzheitliche Verbindung des neuronalen Systems innerhalb der Plastizität des Gehirns hinwegtäuschen, sodass die Lateralisierung eine simplifizierende modulare Zuordnung der kognitiven Funktionen sinnvoll erschienen ließe.
Mentale Systeme und Subsysteme können funktional autonom sein, ohne dass ihnen neuronal oder anatomisch entsprechende abgegrenzte Areale zugeordnet werden könnten. Es ist gerade diese Trennung zwischen funktionaler und neuronaler Ebene, welche die Störanfälligkeit des Gehirns minimiert, weil sich die strukturelle Homogenität und Interkonnektivität des Gehirns und die funktionale Modularität mentaler Systeme und Subsysteme in ihrer Komplexität holistisch ergänzen.
Die interne Struktur als auch die Funktionsweisen der kortikalen Kolumnen oder Neuronenverbände im Neokortex sind in ihrer Funktionsweise nahezu identisch, welches die Plastizität des Gehirns erklärt. Bei Gehirnläsionen werden die betroffenen Trägerstrukturen durch andere Neuronenverbände ersetzt, sodass Funktionen bestimmter Hirnareale durch andere Verbindungen ersetzt werden können.
Diese Funktionsübernahme und auch mentale Kompensation wäre in einem neuroanatomisch modular festgelegten Gehirn nicht möglich. Die Annahme ist also wahrscheinlich, dass in jeder der Hirnhälften kognitive Funktionen unterschiedlichen Grades angelegt sind und sich alle Teile des Gehirns gegenseitig beeinflussen. Untermauert werden diese Reflexionen durch anatomische und neurobiologische Befunde, „denen zufolge die funktionelle Hirnreifung eher Netzwerk für Netzwerk als Areal für Areal abläuft“ (Peltzer-Karpf 1998:15).
9. Plastizität des
Gehirns und frühes Fremdsprachenlernen
Neurophysiologische Untersuchungen haben ergeben, dass die Sprachlernprozesse für frühes oder späteres Sprachenlernen zwar identisch sind, aber bei unterschiedlicher neuronaler Plastizität ablaufen. Von besonderer Relevanz für die Entwicklung kognitiver Funktionen ist die spektakuläre quantitative Veränderung in der postnatalen Synaptogenese, in welcher die meisten neuronalen Verknüpfungen und die Dynamik der neuronalen Organisation entstehen.
Relevante Kontakte und Erfahrungen stabilisieren sich zu neuronalen Netzen; nicht benötigte und daher redundante Verbindungen lösen sich wieder auf, wobei die Eliminierung von Nervenzellen bereits im Embryo beginnt (Embryo, 21. Woche = 1.000.000/mm3, Erwachsener = 30.000/mm3). Die höchste Synapsendichte ( = neuronale Kontakstellen) und Proliferation besteht im Alter von zwei Jahren und wird ab dem sechsten Lebensjahr schon wieder abgebaut (Peltzer-Karpf 1998:14). Die Reduktion der Vernetzungsmöglichkeiten verläuft parallel mit der Abnahme der Plastizität des Gehirns.
Diese neurobiologischen Befunde sprechen eindeutig für einen frühen Fremdsprachenerwerb innerhalb eines multilinearen bio-psycho-sozialen Prozesses. Wenn wir zudem bedenken, dass die auditive Sensibilität der Kinder um das neunte Lebensjahr am höchsten ausgeprägt ist, so verstehen wir, warum der phonetische Input eines Fremdsprachenlehrers von höchster Qualität sein sollte. Seine Aussprachevorgaben werden kopiert, multipliziert, abgespeichert und reproduziert.
10. Memorisierung
und Reaktivierung von Wissen
Die Gedächtnisbildung ist kein eindimensionaler Vorgang, sondern ein ganzheitliches Phänomen, das in der neuronalen Forschung insbesondere auch an das Aktivierungsniveau des limbischen Systems gekoppelt ist. Neurobiologisch heben Squire und Kandel (1999:168) die gedächtnisstützende Rolle der Amygdala hervor, welche die Sinneseindrücke im Lernprozess mit positiven oder negativen Gefühlen assoziiert. Je aktiver sie zum Zeitpunkt des Lernens arbeitet, desto intensiver werden die neuen Kenntnisse mit dem gespeicherten Vorwissen im Thalamus als vernetzte Gedächtnisinhalte verankert.
Es gibt nicht das Gedächtnis, sondern unterschiedliche Gedächtnismodalitäten, die in einem mehrdimensionalen Bedingungsverhältnis zu unterschiedlichen räumlich-zeitlichen antriebs- und situationsabhängigen Erregungsmustern stehen und deren Kodierungsmechanismen auf psycho-physiologischer Ebene verschieden sind (Ulich 1992:196).
Verbal-begriffliche und bildhaft anschauliche Kodierungen werden in unterschiedlichen Arealen abgespeichert und intern differenziert repräsentiert, sodass sich die Erinnerungspotentiale durch eine multimodale Repräsentationen eindeutig verbessern können.
Bei der Memorisierung und Reaktivierung von Wissen bedingen sich die Gehirnhälften durch interhemisphärische Verknüpfungen netzwerkartig in ihrer produktiven Intensität und führen durch die synergetische Verbindung von Sprache und Bild bei polymodalem Lernen zu einer Steigerung der mnemotechnischen Wirkung. „Nach der Konsolidierungshypothese (Sinz, 1978) kann durch polymodale Kodierung über verschiedene sensorische Modalitäten (Aufnahme durch verschiedene Sinne) und durch eine anschließende Konsolidierungsphase der amnestische Gradient (Das Vergessen) reduziert und der Konsolidierungsgradient (das Behalten) gesteigert werden. (Schiffler 2000:221)
In der auf Tony Buzan (1986) zurückgehenden Mind-Map-Methode wird in einer Art „Gedankennetz“ eine Synthese zwischen bildhaftem und verbalen Denken angestrebt, indem Schlüsselbegriffe assoziativ und nicht-linear kartographisch angeordnet werden. Diese Arbeitstechnik des Mindmapping berücksichtigt die divergierenden Perzeptionsmodi der zerebralen Informationsverarbeitung durch beide Gehirnhälften und fördert die Behaltensleistungen (3).
Die neuere Gedächtnisforschung konnte ebenfalls nachweisen, dass das Behalten eines Lerninhalts um so besser gewährleistet wird, je öfter er während des Lernens wiederholt wird. Für die Inventarisierung im Langzeitgedächtnis ist allerdings entscheidend, dass die Wiederholungs- und Übungsphasen unterschiedliche Rezeptoren in situativen Zusammenhängen ansprechen, möglichst mit positiven Assoziationen verbunden sind und die Konsolidierungsphasen sich über 15 bis 30 Minuten erstrecken.
Wird der gleiche Stoff jedoch nur einkanalig rezipiert und repetiert, so sinkt die Behaltensleistung. Es scheint daher wenig effizient zu sein, eine Hörverstehensübung unzählige Male abzuspielen, in der Hoffnung, dass die Lerner schließlich den gesamten Inhalt assimilierten. Bei jeder Wiederholung müssten die Aufgabenstellung sowie die Einbeziehung der Vorkenntnisse variiert werden, damit durch die unterschiedliche Aufmerksamkeitsrichtung keine reproduktive Ähnlichkeitshemmung entsteht und unterschiedliche Gehirnareale zur Steigerung der Verarbeitungstiefe aktiviert werden.
11. Lernförderung durch Bewegung und Musik
Ob der sogenannte Mozart-Effekt Menschen durch die mit dem Musikhören verbundene Aktivierung neuronaler Bahnen in der rechten Gehirnhälfte grundsätzlich intelligenter mache oder nicht, bleibt in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten (Gembris 2000:258). Unbestritten scheint jedoch, dass musikalische Parameter unterschiedliche Wirkungstendenzen implizieren, die sich aktivierend oder beruhigend auf den Organismus auswirken und insbesondere das visuell-räumliche Denken anregen. Unbestritten ist in der Emotionsforschung auch, dass die brillanteste Intelligenz ohne emotionale Mitwirkung orientierungslos bleibt. Musik scheint daher ein probates Mittel zu sein, um die Kognitivierung durch emotionales Erleben zu bereichern.
Ausgehend von der hirnbiologischen
Erkenntnis der cerebralen Hemisphärenverknüpfung plädieren Michael Hager
(1993), Ulrike Quast (1994), Bea Bell (1994), Helmut Reisener (1998) und
Gembris (2000) für die bewusste methodische Integration der im traditionellen
Unterricht häufig stiefmütterlich behandelten rechten Gehirnhälfte in das
Klassengeschehen durch die Einbeziehung von Musik und Bewegung. Hager schreibt in seinem Aufsatz
„Music and Movement in the Foreign Language Classroom:
„The right half
also handles the emotional components of speech, gestures, music and
visualisation (...) the left hemisphere is responsible for what is said, and
the right for how it is said (...) It is known that reading aloud, for example,
is a left cerebral activity while singing and physical movement are right
cerebral activities (…) Right brain emphasises: forms and patterns, spatial
manipulation, rhythm and musical appreciation, images/pictures, imagination,
daydreaming dimension, tune of a song (…) (Hager 1993:28-29)
Auch Neuhäuser betont die lernfördernde Korrespondenz von Bewegung und Sprachenlernen:
Bewegung, Sprache und Sprechen sind eng miteinander verbunden und haben in
ihren grundlegenden Funktionen vieles gemeinsam. Es handelt sich um
sensomotorische Systeme, deren Zentren im Großhirn lokalisiert sind, die ihre
Tätigkeit nur im Verbund ausüben. Sie benötigen Informationen aus der
Peripherie, um diese mit den eigenen Impulsen abzustimmen. (Neuhäuser 1988:13)
Bei dem Streben nach Effektivierung von Lehr- und Lernprozessen erweisen sich ganzheitliche lehrstrategische Konzepte, welche die einseitige Kognitivierung durch die Aktivierung unterschiedlicher Sinnesqualitäten multilinear und multikodal vernetzen, auch durch die Förderung emotionaler Aspekte, häufig als überlegen. Der physiologischen Wirkung der Musik auf den Rezipienten kommt dabei eine die Wissenskonstruktion fördernde Sonderstellung zu (Lehmann 1991/92, Decker-Voigt 1991, Gembris 2000, Altenmüller 2002).
Wenn wir mit Decker-Voigt die Musik schon in ihrer phylogenetischen Perspektive als „das Ohr zur Welt“ (ebd.) und den Sinneskanal des Überlebens bezeichnen, nimmt es nicht wunder, dass auch die neuere gehirnphysiologische Forschung die ganzheitlich-therapeutische Wirkung der Musik auf den Menschen hervorhebt. Decker-Voigt geht sogar davon aus, „daß eine Gesellschaft ohne Musik humanbiologisch nicht existenzfähig sei“ und dass Musik „ein Mittel gegen die fortschreitende Spaltung von Geist, Seele und Körper“ (Decker-Voigt 1991:37f.) sei.
Lehmann (1991) hebt die Förderung der Kreativität durch Musik in ihrer emotional-kognitiven Doppelfunktion in der Schule und Therapie hervor, weil Musik aus verschiedenen Elementen prozessual immer wieder neue Einheiten schafft, die der Komplexität des Denkens und des menschlichen Verhaltens entsprechen, indem sie die Vorstellungskraft, den Willen und das Gefühl der Lernenden ansprechen. Dadurch werden sowohl sensoriell-psychologische, emotionale als auch kognitive Komponenten in einem ganzheitlich-schöpferischen Zusammenspiel gefördert. Darüber hinaus favorisiert die Musik nach Lehmann (1992) den Aufbau einer intrinsischen Motivation, weil sie persönlichkeitseigene Dispositionen im Subjekt weckt, stimuliert oder verstärkt, immer vorausgesetzt, dass die musikalische Einwirkung den Bedürfnissen oder der aktuellen Befindlichkeit des Subjekts entspricht.
Die Verarbeitung musikalischer Reize, so können wir feststellen, ist gehirnphysiologisch die intensivste Tätigkeit im Vergleich zur Umsetzung anderer Sinnesreize. Die Reaktivität unserer Hörzellen ist um ein Millionenfaches größer als unsere Empfindlichkeit auf Berührungsreize, und die anatomische Verbindung der Hörkanäle des Ohrs über den Thalamus mit dem limbischen System favorisiert die Auslösung von Emotionen und Gefühlen durch musikalisch-akustische Stimuli. Musikalischer Rhythmus, Tempo, Resonanz, Höhe, Stärke und Timbre der Töne, führen über die Veränderung des Gefäßsystems zu einer Verlangsamung oder Beschleunigung des Pulsschlages und steuern unsere motivationalen Erregungszustände durch Entspannung oder Anspannung.
Die teilweise archaischen prozessual-strukturellen Elemente der Musik wirken als Auslöser von Kommunikationsprozessen und können, je nach Musikart, gezielt im Unterrichtsprozess eingesetzt werden, um positive Einstimmungen auf den Unterrichtsgegenstand hervorzurufen. Quast ordnet der Rezeption unterschiedlicher Musikarten entsprechende Funktionen und Verwendungskontexte im Fremdsprachenunterricht zu (Quast 1994:170).
Meditative Musik (Kitaro, Halpern) dient bei Entspannungs- und Imaginationsübungen der Stimulierung von Vorstellungen und Assoziationen sowie der Motivierung zur freien Expression; Barockmusik (Bach, Vivaldi, Telemann) und klassische Musik (Haydn, Mozart, Beethoven) begünstigt bei der globalen Textpräsentation oder beim Vokabellernen durch eine entspannte Atmosphäre den Empfang und die Langzeitabspeicherung von Informationen; New-Age-Musik unterstützt beim kreativen Schreiben die Zentrierung des Lerners und fördert seine Phantasie; sowohl Barockmusik als auch meditative Musik reduzieren das Auftreten von Denkblockaden bei Tests und Prüfungen; fremdsprachliche und didaktisierte Lieder fördern die Langzeitspeicherung von Lexik, Grammatik und landeskundlichen Inhalten sowie die motivationale Bereitschaft zur sprachlichen Produktion und Rezeption.
Durch die konnotative Offenheit der Musik erhält der Lerner die Möglichkeit der individuellen emotionalen Erfahrung und kognitive Prozesse werden durch assoziative Verknüpfungen intensiviert. Das Zusammenspiel von verbaler Präsentation und musikalischer Verknüpfung, etwa auch bei der Behandlung von Videoclips im Fremdsprachenunterricht, bei denen Musik, Bild und Sprache als Bedeutungsträger gleichzeitig interagieren (Overmann 2002c), stimuliert eine intensivere gehirnsphysiologisch synchronisierende Abspeicherung von Wissen im Langzeitgedächtnis und unterstützt eine verbesserte Reaktivierung des Gelernten in einem Zustand entspannter Wachheit.
Singen oder melodiöses Sprechen zur Memorisierung von Vokabeln, auch in Verbindung mit Körperbewegung, pantomimische Inszenierung zur Textlektüre sowie Tanz oder Malen zur begleitenden Versprachlichung von Themenfeldern fördern interhemisphärisches Lernen. Ein solch handlungsorientierter Ansatz soll auch unter Einbeziehung einer „holistischen Mediendidaktik der Authentizität und Aktualität“ (Overmann 2000a:56) sowie spielerisch-kreativer oder multimedialer Elemente (Overmann 2000b, 2001) den Weg zu einer neuen multidimensionalen Lernkultur mit allen Sinnen (Finkbeiner 1996) aufzeigen, die auch interaktive suggestopädische Elemente einschließen kann, wie sie Edelmann (1988) und insbesondere Schiffler (2001/1992b) beschreiben. Homo ludens und homo rationalis müssen sich im Lernprozess ergänzen.
12. Behaltensförderung durch Suggestopädie
Eine Effektivierung der Behaltensleistung im Sprachenlernen konnte ebenfalls in suggestopädischen Verfahren nachgewiesen werden. Da das Sprachenzentrum neurophysiologisch in einem Zustand der Tiefenentspannung durch das vermehrte Auftreten von Alpha-Wellen besonders aktiv ist, führte eine durch Musik induzierte Entspannung in Langzeituntersuchungen zu einer nachweislichen Steigerung der Lernleistung, die zudem an eine bessere Selbsteinschätzung und einen Angstabbau gebunden war (Holtwisch 1990, 1992, Schiffler 1992, Jasiukaitis 1997).
Neben dem Wechsel von Körperbewegung, Musik und Entspannung als Methoden der „klassischen Suggestopädie“ können nach Schiffler auch noch die interaktiven „Phasen des Körperlernens im face-to-face-Kontakt und des Partnerlernens“ (Schiffler 1992:301) eingeschoben werden.
Nachdem die Schüler bei ruhiger Brockmusik Vokabeln oder einen einzuführenden Lektionstext in der Fremdsprache gehört und dabei Original und Übersetzung in zwei Spalten mitgelesen und verglichen haben, stellen sie sich in einem Halbkreis face-to-face auf. Während der Lehrer den Lektionstext, der über den Tageslichtprojektor für alle sichtbar ist, Satz für Satz in der Triade Ziel-, Mutter- und Zielsprache langsam und deutlich unter Verwendung möglichst expressiver Gestik, Mimik und Körperbewegung vorspricht, imitieren die Schüler ihn zunächst beim Chorsprechen und lösen sich in einer zweiten Phase von dem Blickkontakt mit dem Lehrer, um das Nachsprechen der Satzteile und das pantomimische Nachahmen der Begleitbewegungen mit einem Partner zu üben.
Die empirische Auswertung dieser zweisprachigen Lektionseinführung im Rahmen der interaktiven Suggestopädie ergab eine signifikante Überlegenheit des neuen Verfahrens. Die Schüler von fünf Klassen wiesen im Kontrollverfahren durchschnittlich eine bessere Memorisierung der Vokabeln auf.
Durch die Erkenntnis der Verschmelzung kognitiver, affektiver und körperlicher Eigenschaften im Lernprozess zu einer Geist-Körper-Einheit entwickelt sich die Forderung nach einer organischen Bildung und einem ganzheitlichen Unterricht. Dieser zeichnet sich durch die Differenzierung und Individualisierung der Sozialformen, die lernstrategische Erweiterung der Arbeits- und Übungsformen im Hinblick auf die Autonomisierung des Lernenden sowie einen Methodenpluralismus aus, der im Rahmen der Öffnung von Unterricht prozedurale, handlungs, produkt- und aufgabenorientierte Elemente in den Unterricht integriert. Dabei führt auch die Erweiterung insbesondere der authentischen Unterrichtsmittel durch den Einsatz der Neuen Technologien (Overmann 2002a) oder aktueller Fernsehsendungen (Overmann 2000a) zu einer Diversifizierung und Komplexifizierung der Lernsituationen, die ein individualisiertes und autonomes Lernen in sozialer Verantwortung anregen und die verkopfte Schule wieder auf den Boden des realen Lebens stellen.
Der lateinische Spruch non scholae sed vitae discimus bezeichnet für den Aufbau einer intrinsischen Motivation die Notwendigkeit der Erkenntnis des Lernenden als konstitutiv, dass die Lerngegenstände eine sinnvolle Ankoppelung an die Erfahrungs- und Erlebniswelt des Lerners bieten. Dieser muss die Lerninhalte als nützlich, sinnvoll und an realen Bedürfnissen orientiert empfinden, d.h. von ihnen ganzheitlich ergriffen werden, damit durch die Emotionalisierung seiner Person auch die kognitive Lernbereitschaft verstärkt wird. Das Erkennen der persönlichen Relevanz des Unterrichtsstoffes für den Aufbau eines eigenverantwortlichen Lebensentwurfs und der Möglichkeit seiner Verknüpfung mit biographischen Verhaltensstrukturen führt schließlich zu einer Verankerung der neuen Interaktionsfolgen an bereits bestehende konzeptuelle Strukturen des Lerners.
Die Akzeptabilität von Unterricht als Voraussetzung für willentliche Sinnkonstruktion hängt demnach von den multiplen Möglichkeiten eines Lernarrangements ab, das dem Lerner ermöglicht, seine persönlichen Ziele in einen affektiven, kognitiven und sozialen Sinnzusammenhang zu stellen, um sein Wissen operativ-handlungsgebunden einzusetzen. Dies wird umso besser gelingen, je multidimensionaler die Lernlandschaft angelegt ist, da unterschiedliche Lernertypen auf unterschiedliche Anreizstrukturen unterschiedlich reagieren.
Eine Pädagogik der Komplexität und Relationalität ersetzt die Vorstellung von einem monokausalen, linearen Lernen durch ein mehrkanaliges, netzwerkartiges Lernen mit allen Sinnen und multiplen Driftmöglichkeiten. Es handelt sich nicht mehr um den Erwerb von statischem, passiven, rezeptiven Wissen unter Verzicht auf sinnstiftende Wirklichkeitsmuster, die im Rahmen einer Verheißungspädagogik auf eine ferne Zukunft verlegt werden, sondern um die Ausprägung eines explorativen, dynamischen, prozeduralen Lernverhaltens für das Leben in Form einer strategischen, pragmatischen und kulturellen Kompetenz.
Gelingt es nicht durch Neugierde, Staunen, Spaß, Freude und Zweifel die Aufmerksamkeit des Lerners zu gewinnen und sie in einen inneren Handlungsimperativ zu verwandeln, bleiben alle weiteren Bemühungen der Lehrenden vergebens, und der Unterrichtsstoff bleibt ein Pfeil ohne Bewegung, der sein Ziel niemals erreicht oder an dem äußeren Panzer einer demotivierenden Sinnlosigkeit zerbricht.
Wir dürfen allerdings auch nicht im Rahmen eines falsch verstandenen radikalen Konstruktivismus (Overmann 2002b) annehmen, dass es ausreiche, das Klassenzimmer in eine anregungsreiche, multimediale Lernwerkstatt zu verwandeln, damit die Lerner in anarchischer Freiheit Wissen konstruierten. Eine unstrukturierte Darbietung reiner Präsentationsmaterialien führt die Lernenden nicht spontan zum Experimentieren mit dem Lerngegenstand, sondern verleitet sie häufig zu unkonzentriertem Spiel, das in Langeweile und Desinteresse endet, weil sie mit der Materialfülle wie von einem Hypertext überfordert sind und keine sinnvollen Anschlussmöglichkeiten finden.
Eine konstruktivistische Lernumgebung impliziert daher auch aufgabenorientierte Lernpropositionen als mögliche Lernpfade, damit die Lerner an ein Geländer greifen, einen Steg benutzen und Wegweiser betrachten können, um sich nicht in der Komplexität des Lernumfeldes zu verlieren. Aktive Sinnkonstruktion vollzieht sich immer durch das interaktive Aushandeln von Bedeutungen in einer sozialen Gemeinschaft, in welcher die Lehrkräfte Handlungsalternativen anbieten, den Lerner unterstützen und begleiten, aber auch auf die Einhaltung von Normen und Regeln achten, die in jeder Solidargemeinschaft ausgehandelt werden, um nicht unter das Diktat eines blinden Individualismus zu geraten.
Lernen kann sich nur als erfolgreich erweisen, wenn es selbsttätig und intentional vollzogen wird. Es ist immer das selbststeuernde Resultat des Interaktionsprozesses eines aktiven Subjekts mit seiner Umwelt, in dem Bestreben, einen viablen, d.h. lebbaren und damit individuell sinnvollen Lebensentwurf zu entwickeln. Allerdings besteht der einzig viable Weg für manche Schüler in einer als lebensfremd und sinnentleert empfundenen Schule in der Lernverweigerung.
In diesem Falle muss der Lehrer entweder nach genauer Erkundung der Biographie des Schülers und des sozialen Umfeldes andere Lernwege vorschlagen, in der Hoffnung den Lerner in seiner Verhaltensstruktur positiv anzuregen, oder der Lerner muss in einzelnen Fällen die Lernumgebung, d.h. die Klasse oder sogar die Schule wechseln, um eine dauerhafte Inkompatibilität und den Aufbau negativer Verhaltensauffälligkeiten zu vermeiden. Leider ist es den Lehrenden nicht immer möglich, in völlig überfüllten und heterogenen Lerngruppen diese soziale und psychologische Unterstützung zu leisten.
Lernen kann sich nur willentlich und intentional als erfolgreich erweisen und ist immer das selbstregulative Resultat des Interaktionsprozesses eines aktiven Subjekts mit seiner Umwelt, in dem Bestreben, einen viablen, d.h. lebbaren und damit individuell sinnvollen Lebensentwurf zu entwickeln. Leider besteht der einzig viable Weg für manche Schüler in einer als lebensfremd empfundenen Schule in der Ablehnung von Unterricht und einer damit verbundenen Lernverweigerung. Die Entwicklung von positiven Gefühlen und einer allgemeinen Empathie müssen als conditio sine qua non einer erfolgreichen Sinnkonstruktion verstanden werden, da sie erst den Willen zur Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsstoff auslösen.
14. Ago, ergo cognosco: produktorientierte Klassenzimmer und
didaktische
Driftzonen
Ein einfaches Beispiel zur Gestaltung einer positiven Lernatmosphäre wäre zum Beispiel die gemeinsame Einrichtung eines Fachraumes. Der Unterricht sollte fachbezogen immer in demselben Raum stattfinden, den die Schüler persönlich mitgestaltet haben und in einem dynamischen Prozess ständig verändern. Das Einrichten einer Lernwerkstatt, in der akustische und optische Elemente des Erlebens und Empfindens der Zielkultur integriert sind, dürfte in der Praxis die Ausnahme bleiben, jedoch kann auch die Gestaltung einer Klassenzimmerwand schon einen Hauch persönlicher Atmosphäre vermitteln, wenn jeder daran mitwirkt.
An Themen im Fremdsprachenunterricht, zu denen die Schüler produktorientierte Ergebnisse exponieren können, dürfte es nicht fehlen: Sie können thematische Bilder malen, Collagen erstellen, Dialoge formulieren, Rollenspiele inszenieren, landeskundliche Poster aufhängen, Adressen und Fotos von Ferienaufenthalten, Briefpartnerschaften oder Partnerschulen, Artikel und Bilder aus frankophonen Zeitschriften ausstellen oder auch Dokumente aus Reisebroschüren der Zielkultur auslegen, die sie vorher selber bestellt oder von Reisen mitgebracht haben. Durch diese individuelle Klassenraumgestaltung schaffen die Schüler eine entspannte Atmosphäre, weil sie von Gegenständen umgeben sind, die sie selber gestaltet haben und Teil ihrer Biographie sind, mit denen sie sich identifizieren und auf die sie stolz sind. Darüber hinaus wirken diese Materialien auch in Momenten der stillen Kontemplation, indem sie die Lernenden zur entspannten Betrachtung anregen.
Des Weiteren werden die Schüler durch die Einbringung authentischer Materialien in das Klassenzimmer auch über den Unterricht hinaus zum interkulturellen Diskurs angeregt, indem das Fremde zum Katalysator des Eigenen wird. Es wird Interesse für die Menschen, Sprache und Kultur der Zielsprache aufgebracht, und die Identifizierung mit dem Fremden wird erleichtert. Man beobachtet, ist erstaunt, neugierig, vergleicht, stellt Fragen und stellt in Frage. Themengebundene Dokumentationsmappen, Prospektkästen, Lektüren, Comics, Kataloge oder Zeitschriften können die Lernenden dazu anregen, selber Themen zu formulieren, die sie gerne im Unterricht besprechen möchten. Dadurch öffnet sich die Lehrbucharbeit in Bezug auf schülerorientierte Themendossiers, die interessengebundene Aufmerksamkeit hervorrufen und zukunftsorientierten Sinn schaffen.
Nach Möglichkeit sollten sich im Klassenschrank auch Kassetten und CDs befinden, welche die Lerner in den Pausen oder als Hintergrundmusik bei Einzel- und Gruppenarbeit anhören können, sodass die fremde Kultur über die didaktischen Unterrichtsziele hinaus in den Schüleralltag integriert werden kann. Eine kleine Audio-, Video- und Printbibliothek könnte auch zur Ausleihe an die Schüler freigegeben werden. Wichtig ist, dass sich die Lerner verantwortlich fühlen und emotional ergriffen werden.
Wenn wir im Fremdsprachenunterricht als übergeordnetes Lernziel eine transnationale Kommunikationsfähigkeit anstreben, so sind die emotionalen Einstellungen und Handlungen der Schüler gegenüber dem Land der zu erlernenden Sprache die wichtigste Voraussetzung zur Erreichung von Empathie und einer intrinsischen Motivation, die insbesondere durch eine positive Neugierde sowie ein natürliches Mitteilungsbedürfnis geweckt werden können. Der Sprachlernende muss seine Passionen in aktuellen Gefühlssituationen erleben können, die Erkundung des Fremden willentlich intendieren und seine eigene Kulturverbundenheit in der Interaktion mit der Welt reflektieren.
Die Schüler müssen im Unterricht einen Realitätsbezug sehen und sowohl methodisch als auch sprachlich auf Partnerbegegnung und partnerbezogene Interaktionen vorbereitet werden. Rollenspiele und die Methode der simulation globale sind hierbei besonders geeignet. In der Grundschule oder in Anfangskursen sollten in Spielsituationen sprachliche Verhandlungssituationen geübt werden, in die auch non-verbale und andere Verständigungsstrukturen einfließen sollten (Pelz 2001:49).
Induktives Lernen sollte in jedem Fall immer auf konkrete Anschauung ausgerichtet und situations-, themen- und erlebnisorientiert sein, sodass der Aufbau von Wissen in seiner subjektiven Relevanz als situierte Kognition in multidimensionalen lebensnahen Kontexten und Verwendungssituationen verwirklicht wird. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind untrennbar mit unseren Lebensgeschichten verbunden, und wir wollen mit Kösel (1993:240) „didaktische Driftzonen“ schaffen, in denen der Lerner sich gemäß seiner internen Struktur in der Interaktion mit der Lernwelt kognitiv und emotional wohlfühlen kann, um neues Wissen zu konstruieren.
Zum Abbau von Ängsten beim Spracherwerb gehört auch der Verzicht auf die Überbewertung formaler Aspekte der Sprache und eine Versagersängste auslösende strenge Fehlerkorrektur. Nicht der linguistische, sondern der kommunikative Erfolg und das Vorherrschen der inhaltlichen Dimension müssen in den Vordergrund der Sprachhandlung treten, damit die Lerner das Bedürfnis verspüren in authentischen Kontaktsituationen miteinander kommunizieren zu wollen.
Auch der Einsatz von Videofilmen oder Fernsehen im Unterricht gehört durch die konkrete und ganzheitliche Wahrnehmung authentischer Materialien mit multiplen Anreizstrukturen zu den „didaktischen Driftzonen“ und fördert die Verlebendigung eines holistischen Lernens (Overmann 2000a). So bieten die Sendungen von TV5 zum Beispiel vielfältige lernerorientierte Sprachanlässe für einen produkt- und handlungsorientierten Unterricht.
Menschen, Stimmen und Gesichte, die interagieren, evozieren Gefühle und verweisen auf echte Kommunikationssituationen, und authentisch verwendete Sprache verbindet auf ideale Weise phonetische, syntaktische, semantische und pragmatische Aspekte beim Spracherwerb. Durch die Fokussierung auf paraverbale Informationsträger des sozialen Handelns in kommunikativen Situationen wie Gestik, Mimik, Geräusche, Musik oder Bewegung werden darüber hinaus rein sprachliche Defizite kompensiert.
Emotionen sind unsere ständigen Begleiter im Lernprozess. Indem sie alle Informationen, auch die abstraktesten, um den Aspekt ihrer subjektiven Bedeutung anreichern und bewerten, agieren sie als selektive Filter. Unter positiver Anstrengung des Wahrnehmenden wirken sie lernfördernd auf kognitive Prozesse, bei inkongruentem oder wirklichkeitsfremdem Lernmaterial und/oder unter persönlichkeitsabweisenden Lernbedingungen jedoch lernhemmend. Beim Lösen von Aufgaben sind daher Zustände der Zufriedenheit oder Entspannung, der Lust oder Unlust, der Langeweile oder Begeisterung, d.h. der gefühlsmäßigen Beziehung des Lernenden zum Lerngegenstand von entscheidender Bedeutung, weil sie über die motivationale Persönlichkeitsdiposition den Aufbau von Wissen implizit beeinflussen.
Das menschliche Gedächtnis ist weder nur ein Informationsspeicher oder Resultat, sondern auch Mittel der Erkenntnis und verantwortlich für Prozessstrukturen, kognitive Operationen Strategien und psychische Dispositionen zur Bereitschaft der Erbringung einer Leistung. Schon bei der Informationsaufnahme leitet es durch affektive Bewertungsfunktionen die Erlebnisseite einer motivationalen Dynamik und entscheidet über Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen. Kognitionen lösen nicht nur Affekte aus, sondern diese können wiederum Kognitionen fördern oder behindern, sodass sich beide Dimensionen überschneiden.
Wir konzedieren zwar, dass sich das kognitive System gedächtnisphysiologisch aus einer Reihe verschiedener Module zusammensetzt, aber diese neuroanatomische Lokalisierbarkeit darf nicht über die ganzheitliche Verbundenheit der neuronalen Aktivitäten hinwegtäuschen, sodass wir die Hypothese einer relativen funktionalen Unabhängigkeit kognitiver Prozesse von rein lokalistischen Speicherungsmodalitäten vertreten. Weder die Informationsaufnahme noch die Informationsweiterleitung verlaufen seriell und linear, sondern kaskadenartig und multi-linear in einem interdependenten Netzwerk, das über die peripheren Nervenbahnen mit dem ganzen Körper verbunden ist.
Entsprechend den neueren Erkenntnissen der Sprachlehr- und -lernforschung sowie der Neurobiologie fordert unser Credo einen holistischen und beidhemisphärischen Ansatz des Lernens und Lehrens, welcher die Doppeldimension kognitiver und affektiver Faktoren in ihrem Synergieeffekt berücksichtigt und die cartesische Dichotomie zu Gunsten eines allianzartigen neurobiologischen Monismus auflöst. Dabei entwickelt sich die modular vernetzte kognitive Apparatur in einem bio-psycho-sozialen Prozess durch das Zusammenspiel von Anlage, Erfahrung und Umwelt mit dem Ziel der Bewältigung des Lebens, und der Januskonflikt des Lernens wird durch einen ganzheitlichen Osmosevorgang überwunden.
Der Mensch ist von Natur aus ein multimodales Wesen und durch die multisensorische und multimediale Aufbereitung der Lehrmaterialien werden die Speichervorgänge im Gehirn gedächtnisphysiologisch gestärkt. Denn je mehr Assoziationen mit der Informationsaufnahme verknüpft werden und je mehr der Lerner auch emotional durch den Lerngegenstand ergriffen wird, desto größer ist die integrative bedürfnisgeleitete und realitätsbezogene Motivation des Lerners und die Wahrscheinlichkeit der Abspeicherung des Wissens im Kurz- und Langzeitgedächtnis.
Multimodales Lernen befriedigt ein Urbedürfnis des Menschen nach Ganzheitlichkeit, in der verschiedene Sinneskanäle und Symbolsysteme harmonisch verknüpft werden. Die multiplen Driftmöglichkeiten einer nicht-gerichteten, d.h. nicht linearen Rationalität mobilisieren im mehrkanaligen Lernen durch die kortikale Sensibilisierung einer ganzheitlichen Wahrnehmung verschiedene Rezeptoren der Sinnesorgane, die mit verschiedenen Gehirnregionen verbunden sind.
Durch die Anregung der beidhemisphärischen rational-analytischen und intuitiv-emotionalen Gehirnareale, in denen sich Emotions- und Wissensknoten verschlingen, integriert der Lerner das Reservoir seiner neuronalen Vorkenntnisse in den dynamischen Prozess seiner Wissenskonstruktion. Neues Wissen wird in Form einer biographischen kognitiv-emotionalen Synthetisierung in vorhandene Deutungsmuster verankert und in einem Selbstkonzept der Wirklichkeitskonstruktion produktiv umgesetzt.
Komplexe kognitive Systeme sind ganzheitlich emotionsgebunden und über zahlreiche Subsysteme in einer nicht-linearen Dynamik mit dem ganzen Körper vernetzt. Die rationalistische Auffassung vom Menschen als reines Vernunftwesen und ein damit verbundener logozentrischer Mentalismus muss immer mehr der Einsicht weichen, dass der Mensch ein ganzheitliches körperliches Wesen ist, das sich im Wechselspiel mit der Umwelt entwickelt und dass Lernprozesse nicht unabhängig von der geistigen Dimension des Körpers und den emotionalen Dispositionen des Geistes betrachtet werden können. Daher gewinnt heute der emotionale Faktor der Intelligenz als implizites und pragmatisch orientiertes Wissen immer mehr an Bedeutung.
Genauso wie bei Kant die Erkenntnis ein Zusammengesetztes ist, in der Anschauungen ohne Begriffe blind und Gedanken ohne Inhalt leer sind, möchten wir in der Pädagogik Lernen als Synthese individueller Erfahrung, die mit den Sinnen anhebt, und Verstandestätigkeit des aktiven Subjekts betrachten und die These aufstellen, dass sinnlich erfahrene Emotionen ohne kognitives Wissen blind sind und kognitives Wissen ohne Emotionen leer bleibt. Daraus resultiert unsere Forderung, die Emotionen zu kognitivieren und als Anschauungen unter Begriffe zu bringen und das kognitive Wissen zu emotionalisieren, d.h. die Begriffe sinnlich zu machen, indem wir ihnen in der Anschauung Gegenstände beifügen. Erst wenn sich Kognition und Emotion, Geist und Sinnlichkeit, Pflicht und Neigung, Gemüt und Verstand nicht mehr bekämpfen, sondern harmonisch schillernd umarmen, wird Lernen trotz der Mühen als sinnvolle Lebensbewältigung erfahren werden.
Die Vernunft darf nicht linear und monomodal verstanden werden, sondern im Sinne des postmodernen Philosophen Wolfgang Welsch (1996) als „transversale Vernunft“, welche Transformation, Pluralisierung und Perspektivenvielfalt als ergänzende Faktoren der mentalen Beweglichkeit in die Vernunftdebatte der letzten Jahre eingeführt hat. Wir sollten auf apodiktische Urteile verzichten und unsere Standpunkte nicht auf Recht oder Unrecht fixieren, sondern uns unterschiedliche subjektive Beobachterperspektiven und daraus resultierende divergierende Meinungen bewusst machen, die in einem komplexen System von Bedeutungsrelationen notwendigerweise koexistieren.
(1) Wir erkennen zwar an, dass die Vorstellung eines unüberwindbaren Dualismus durch die Annahme zweier diametral entgegengesetzter Substanzen in der Geschichte der Philosophie zu Aporien geführt hat, jedoch vertritt Descartes in seinen anatomischen und physiologischen Schriften sowie in seiner Korrespondenz mit Elisabeth von Schweden Behauptungen, die einer materialistisch-monistischen Deutung des Denkens sehr nahe kommen (Overmann 1993:131-148).
(2) Eine genauere Beschreibung der Rolle des Hippocampus und der physiologischen Verortung der Gedächtnisse findet sich bei Kochendörfer, S. 153ff.
(3) Eine Anleitung zur systematischen Erstellung von Mind Maps finden wir bei Holtwisch 1992: 43.
(4) Zur Ideengeschichte der
Gehirnforschung vgl. insbesondere die Aufsatzreihe in der Zeitschrift von Roth Gehirn
und Geist (1/2002ff.), die mit einem Artikel von Robert-Benjamin Illing
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