Internet versus Lehrbuch? Neue Konzepte für einen multimedialen Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe I und II
Inhaltsverzeichnis:
Kontroverse Standpunkte über das Internet
als neues Informations- und Kommunikationsmedium
Multimediale
Hypertexte versus lineare Lehrwerke
Konstruktivistische
Essentials der Hypertexte in Opposition zum Lehrwerk
Kritischer Ausblick und
Konklusion
Literatur
Keine Schule, keine Schulform und keine Schulstufe wird das Internet zukünftig ignorieren können, weil die mit den neuen Informationstechnologien verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen so radikal sind und weiterhin sein werden, dass jede Sozialisationsagentur der modernen Informationsgesellschaft unmittelbar davon betroffen sein wird. (Schlobinski 2000:10)
Kontroverse Standpunkte über das Internet als neues Informations- und Kommunikationsmedium
Schulbuchverlage und Pädagogen brauchen keine Angst zu haben: Das Lehrbuch wird nicht abgeschafft, und auch der Lehrer wird nicht durch multimediale Softwareprogramme oder virtuelles Online-Learning in globalen Klassenzimmern ersetzt werden. Allerdings werden sich die Funktion des Lehrers und die Form der Interaktion im Unterricht wandeln, und Schulbuchverlage werden neue Konzepte entwickeln müssen, um die Internetarbeit in diverse Unterrichtsmodelle zu integrieren und die Vorteile der neuen Medien für den Unterricht nutzbar zu machen, wenn sie nicht als antiquiert gelten und konkurrenzfähig bleiben wollen.
Aus kommunikativer und medialer Perspektive konvergieren im Internet nahezu alle bekannten Medien und Kommunikationsformen wie Buchdruck, Brief, Telefon, Telegraphie, Schallplatte, Radio, Funk, Tonband, CD, CD-ROM, terrestrisches Fernsehen, Telex, Telefax, Videokassette oder Satellitenfernsehen, und ein gigantischer Datenschirm überwölbt die Welt. Die Perspektiven der Bewertung des Internet sind jedoch sehr ambivalent und oszillieren zwischen einer im technizistischen Glauben verankerten euphorischen Fortschrittsgläubigkeit des magister naturae und einem allgemeinen Kulturpessimismus à la Rousseau.
Der nahezu uneingeschränkte Optimismus für die Internet-Gesellschaft wird von denjenigen Meinungsträgern vertreten, die wie die Internet-Ikone Esther Dyon behaupten, dass die Neuen Medien nicht nur zur Erweiterung unserer intellektuellen und emotionalen Identität (Dyon 1997:13) beitragen, sondern zur allgemeinen Demokratisierung der Gesellschaft durch permanente Mitregierung der Basis (S. 52). Tatsächlich plant die Internet-Organisation Icann noch im Jahr 2000 die Wahl einer Internet-Regierung aller Netzbürger per E-Mail (Der Spiegel 11/13.3.2000, S.292). Warnende Sirenen befürchten hingegen die Machtfülle einer solchen Institution, die über den Authoritative Root Server in Virginia alle Adressdaten der Welt in Form eines zentralen Melderegisters verwalten würde. Wer dort nicht registriert wäre, existierte nicht, so dass Virtualität zur Prämisse für Realität avancierte.
80 von 160 Millionen Internetanschlüssen befinden sich derzeitig in den USA (5% in Deutschland) und ca. 80% aller Webseiten sind in englischer, 4% in deutscher und nur 2% in französischer Sprache (Suquet 1999:94). Produktion, Distribution und Kommunikation finden immer mehr in virtuellen Räumen statt, und der größte elektronische Buchhandel der Welt, Amazon.com, erwirtschaftet bereits einen Jahresumsatz von ca. 90 Milliarden Dollar.
Wenn Viviane Forrester 1996 in ihrem aufsehenerregenden Buch L'horreur économique, das in Frankreich durch seine offene Kritik an der Globalisierung wie eine Bombe einschlug, von einer Zweiteilung der Gesellschaft spricht, in der die einen Arbeit besitzen und die anderen nicht, und eine Entwicklung von der exclusion zur extermination antizipieren will, müssen wir uns tatsächlich fragen, ob der amerikanisch dominierte Neoliberalismus, den Forrester in ihrem soeben erschienen Buch als Une étrange dictature (1999) geißelt, diese Zweiteilung im Bereich der Medien nicht noch verstärkt, wenn das Internet zum zentralen Nervensystem des globalen Kapitalismus avanciert. Bedeutet der Zugang für alle nicht den Ausschluss der Masse und die elitäre Verwendung des Netzes als ökonomisches Herrschaftsmittel (Rötzer 1998:41)? Tatsächlich werden mit zunehmender technischer Komplexion auch immer mehr Medien-Analphabeten (illectronisme) von der Teilnahme an der ultraliberalisierten modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft ausgeschlossen. Dann wird die Gesellschaft bald in eine online herrschende, voll elektronische Oberschicht und eine offline machtlose Unterklasse zerfallen (...) die Verteilung von Macht und Machtlosigkeit würde dann bleiben, sie würde vielleicht sogar raffinierter kaschiert und damit um so schwerer aufhebbar. (Baacke 1999: 14)
Während Schwab und Stegmann die Netzwelt der Windows-Generation als eine Variation bestehender Kommunikationsstrukturen im Sinne einer Erweiterung und Ergänzung (1999:180) deuten, wird von anderen der gesellschaftliche Zweifel geäußert, ob die Neuen Technologien tatsächlich zu einer Befriedigung von realen Informations- und Kommunikationsbedürfnissen führen oder vielmehr zur Pathologisierung des Individuums wie es die Internet Relay Chat-Sucht oder das Phänomen des Gender Swapping andeuten. Wird durch die Annahme unterschiedlicher künstlicher Chiffrenidentitäten und die zunehmende Virtualisierung und Anonymisierung der Gesellschaft die Personalität nicht außer Kraft gesetzt? Werden bald virtuelle Un-Personen im Moorhuhn-Fieber des Cyberespace neue Ich- und Beziehungsstrukturen aufbauen und auch eine hypothetische Realität definitiv in Frage stellen?
Welches sind die möglichen Folgen, die sich durch den Auszug des Menschen aus der materiellen Welt der Körper und seinen Einzug in eine digitale Parallelwelt ergeben könnten? Wird die Schreib-, Lese- und Sprachkompetenz in unserer Kultur durch die Durchdringung mit immer mehr Medienbildern grundsätzlich abnehmen? Werden zukünftige Lerner für den alphabetischen Text keine Aufmerksamkeit mehr aufringen können? Werden sich die Plastizität der Gehirnarchitektur und damit unser kognitives System und das Denken durch die Digitalisierung des Lebens essentiell verändern? Zuletzt träumt der Datenflaneur davon, so Florian Rötzer (1998:40), sich in einen Cyborg zu verwandeln, beispielsweise sein Gehirn direkt an das Netz anzuschließen und mit dem Cyberspace oder seinem Datenkörper zu verschmelzen (...) Am liebsten würde er seinen fleischlichen und trägen Körper hinter sich lassen (...) um in der digitalen Parallelwelt ein anderer zu werden.
Kehren wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Weder blinde Technikbegeisterung noch -abstinez, Kassandrarufe oder pauschale Kritik werden dem Gegenstand gerecht. Die Neuen Medien sind vorhanden und auch nicht mehr wegzudenken. Technisch ist das Internet eine globale Verflechtung dezentraler Computernetzwerke, sozioökonomisch bedeutet es eine radikale Umgestaltung der modernen Industrie- und Wissensgesellschaft im Rahmen einer exponentiell voranschreitenden Globalisierung, welche das offene Multiversum zum globalen Dorf im Cyberspace zusammenrücken lässt.
Zwei Aspekte der Internetnutzung erweisen sich als konstitutiv, und zwar die Möglichkeiten der unendlichen Informationsbeschaffung und des unmittelbaren Informationsaustausches. Zeitversetzte asynchrone Kommunikation läßt sich per E-Mail, Mailingliste und Newsgroup abwickeln, zeitgleiche synchrone Kommunikation werden durch Chat, IRC-Channels (Internet Relay Chat), Internet-Telefonie und Internet-Videokonferenzen ermöglicht.
Der Schule kommt die operative und ethische Pflicht zu, die Lerner auf den Nutzen, aber auch auf die Probleme und Gefahren der Neuen Medien vorzubereiten. Wenn unser Bildungssystem und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Leistungen konkurrenzfähig bleiben sollen, muss der Schüler in einer informationstechnischen Grundausbildung zu einem medienmündigen Bürger ausgebildet werden, der sich kritisch mit der Informationsflut auseinandersetzt und Strategien der Informationsbeschaffung und -evaluation erwirbt.
Es werden Millionen investiert, und mittelfristig werden alle Schulen am Netz angeschlossen sein. Aber wer wartet regelmäßig Hard- und Software, aktualisiert die Programme und sorgt dafür, dass teuere Geräte nicht ungenutzt veralten? Wer finanziert und garantiert die medientechnische Ausbildung der Lehramtsanwärter und die Fortbildungen der Lehrer? Und wer initiiert und organisiert die dringend notwendige Kooperation in der Entwicklung neuer pädagogischer Konzepte, in denen technische, kognitionspsychologische und didaktische Fragestellungen eine Synthese eingehen?
Neben einigen durchaus positiven Ansätzen der Bildungsserver der Landesregierungen bleibt die private Initiative von Frau Margit Fischbach, die 1996 auf Vereinsebene die Zentrale für Unterrichtsmedien gegründet hat, für uns Lehrer bislang die erfolgreichste Antwort (http://www.zum.de/). Weder die Bundesinitiative Schulen ans Netz (http://www.san-ev.de/) noch die Unterrichtsmaterialien und Projekte des Deutschen Bildungsservers (http://dbs.schule.de/) oder die Online-Angebote von namhaften Verlagen werden auch nur annähernd so intensiv genutzt wie die Webseiten der ZUM, die über mehr als 70 ehrenamtliche Lehrerkoordinatoren für alle Unterrichtsfächer nicht nur ausgewählte, aktualisierte und überarbeitete Linksammlungen und Online-Unterrichtsmodule zur Verfügung stellt, sondern auch Kontaktadressen und Gesprächsrunden für Lehrer und Schüler anbietet sowie die Möglichkeit zur Mitarbeit und zum Einbringen eigener Ideen.
Wie werden die Schulbuchverlage auf diese neuen Herausforderungen reagieren?
Welche Rolle werden die zukünftigen Lehrbücher spielen? Wie werden
sie sich verändern müssen? Welche Netzangebote gibt es derzeitig
für den Französischunterricht der Sekundarstufe I und II?
Multimediale Hypertexte versus lineare Lehrwerke
Traditionelle Lehrbuchtexte fallen bei den Schülern als anregungsreiches Sinnangebot weitgehend aus, da sie, wie Rattunde formuliert (1995:88), auf paradigmatische Vollständigkeit morphosyntaktischer Phänomene abgezweckt sind und zur Exemplifizierung von Grammatik instrumentalisiert werden. Deshalb werden Schulbuchtexte auch nicht referenziell, sondern metasprachlich gelesen, d.h. nicht das Gesagte zählt, sondern die Form, in der es gesagt wird.
Der schulische Spracherwerb leidet darüber hinaus grundsätzlich durch die didaktische Segmentierung der Zielsprache an einem demotivierenden Verlust authentischer Situativität und sprachlicher Eindrucksvielfalt. Durch das Fehlen natürlicher Sprachnutzungsmuster in ausreichender Varianz und von Inhalten mit tatsächlicher sozialer Relevanz wird das Mitteilungsbedürfnis der Lerner nur wenig angeregt, der pragmatisch-funktionale sowie extraverbale Wissenserwerb bleibt gering und die demotivierende Asymmetrie von Redeanteilen bleibt bestehen.
Wir wollen und können das Lehrwerk nicht abschaffen, aber wir fordern seine Öffnung und eine Abkehr von seiner rigiden, monodirektionalen Linearität, die den neuen Lerntheorien, in denen der Lerner als Architekt seines Lernens auftritt, nicht entspricht. Nachdem eine Subjektive Didaktik (Kösel 1995) im Begriff ist, einen Umbruch vom traditionellen lehrergesteuerten zu einem erfahrungsorientierten und lernerzentrierten Unterricht zu vollziehen, muss auch eine Dekonstruktion des Lehrbuchs stattfinden und ein Paradigmenwechsel zu aufgaben- und problemorientierten Themendossiers.
Segermann sieht das neue Lehrwerk als Folge eines schülerorientierten Unterrichts mit Erlebnisqualität und intellektuell-emotionalen Sinnbezügen insbesondere als Materialpool (Stegermann 1999:290) von Themendidalogen mit möglichst vielen Varianten aus der Sprachwirklichkeit. Rattunde hat in diesem Zusammenhang offene Lektionseinheiten in der Sekundarstufe I (On fait du camping; Notre école; 1995:99-106) entwickelt, die als Modell der freien Abfolge von Modulen langfristig das Lehrbuch ablösen sollen. Meißner (1998:14) schreibt in dem gleichen Kontext, dass die Lehrwerke der Zukunft absehbar eine offene Architektur aufweisen werden und daß neben dem unverzichtbaren papiernen Buch elektronische Module treten werden.
Der Fremdsprachenunterricht, so wollen wir über 100 Jahre nach Vietor wieder ausrufen, muß umkehren!(Vietor 1882/ 1982) Der Lerner darf nicht weiterhin als Antwortmaschine ohne tatsächliche Redeabsicht in geschlossenen, vorgefertigten Lektionen mit präskriptiven Übungsformen rezipierend, konsumierend und passiv mit motivationshemmenden pädagogischen Fertiggerichten eines Kantinenunterrichts konfrontiert werden. Der Lerner darf nicht weiterhin an grammatikalischen Fäden hängen und zur Marionette entwertet werden, die nur auf Fingerzeig des Lehrers hin agiert, um festgelegte Schemata ad infinitum zu repetieren.
Wernsing fordert in seinem Aufsatz Schüler das Fragen lehren (1999:194), dass die Schule als Vermittlungsinstanz abfragbaren Wissens mit ihrem Ritual inquisitorischer Lehrerfragen endlich Schluss machen solle, um die Schüler mit ihren tatsächlichen Bedürfnissen ins Zentrum eines handlungsorientierten Lernerverfahrens zu rücken, und Freudenstein wiederholt die Aufforderung Vietors zum Paradigmenwechsel Der Fremdsprachenunterricht muß (immer noch) umkehren! in einem erst kürzlich erschienenen Artikel. Darin stellt Freudenstein fest, dass im Anfängerunterricht auch heute noch die kognitive Schiene der Grammatikvermittlung bis zu 70% beträgt (Freudenstein 1999:155). Hätte sich in der Schulwirklichkeit also tatsächlich nichts Grundlegendes geändert? Die Lerner müssen endlich, ausgehend von ihren Erfahrungen und Bedürfnissen, mit ihren praxisorientierten Weltentwürfen und Sinnkonstruktionen in den Mittelpunkt eines lebendigen, dynamischen und interaktionistischen Unterrichts gestellt werden, in dem autonomes und selbstverantwortliches Lernen praktiziert werden.
In diesem neuen systemisch-konstruktivistischen Kontext muss auch Zimmermanns Phasenmodell (1969) (Sprachaufnahme / Einführung/ Input / présentation - Sprachverarbeitung / Üben / Wiederholen / Festigen / élaboration - Sprachanwendung / Output / Transfer / fixation) nach dreißigjähriger Herrschaft durch radikale Infragestellung eine Dekonstruktion erleben. Der illokutionäre Sprechakt in der kommunikativen Sprachhandlung darf nicht länger durch das Apriori der morphologischen Strukturen majorisiert werden, so dass der Inhalt durch eine arbiträre Instrumentalisierung zum toten Beiwerk einer sinnentleerten grammatikalischen Diktatur wird, welche die inhaltich-kommunikativen Aspekte und den Transfer nur hinauszögert. Sprache ist nicht primär Anwendung von Grammatik, sondern interaktive Sprachhandlung zur Mitteilung von Inhalten und Gefühlszuständen. Die festgelegten Lernschritte einer Als-Ob-Didaktik, die, wie Kösel formuliert, davon ausgeht, dass jeder Schüler jeden Vormittag alles in sich hineinstopfen könne, was etwa 4 bis 5 Lehrer an diesem Vormittag sagen und vermitteln wollen (Kösel 1993:69), behandelt die Schüler als triviale Lernmaschinen ohne jegliche affektive Beteiligung.
Der Internetunterricht bietet durch seine Hypertextstrukturen eine bessere Vernetzungsmöglichkeit und setzt den Akzent auf Inhalte und Sprachhandlungen und nicht auf Form und grammatikalische Richtigkeit. Er vesetzt den Lerner grundsätzlich in eine aktive, subjektbezogene, autonome Rolle, indem er die Einzelnen oder wahlweise die Arbeitspartner mit einer Problemstellung oder einer Aufgabe konfrontiert, die sie selbständig aufgrund ihrer Erfahrungen und Weltkenntnis lösen sollen.
Die Aufgaben sind komplex, dehnbar und multidimensional. Es ist gerade dieses probabilistische Prinzip des Navigierens, so Rüschoff (1999:22), das als Wissensverarbeitungs- und Lernprinzip in der Wissensgesellschaft an die Stelle des linearen Prinzips des 'Schritt-für-Schritt Forschreitens' getreten ist. In der bisherigen Schule wird an einer starren Progression festgehalten... die heutige Wissensorganisation erfordert ein dynamisches Verarbeiten von Wissen, das durchaus auch assoziationistisch fortschreiten soll.
Die Lerner schlagen entsprechend ihren Neigungen und Interessenschwerpunkten auf binnendifferenzierte Art und Weise unterschiedliche innovative Wege und Strategien zur Lösung der Aufgaben ein. Das Lernniveau, die Lernzeit und das Lerntempo können sie innerhalb eines Lernkontraktes selber bestimmen, ebenso die Wahl der Sozialform, ob Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit, so dass eine größere Eigenverantwortung und Eigeninitiative entwickelt wird sowie eine diskursive Verhandlungsstrategie.
Die Internetaufgaben enthalten darüber hinaus als offene, freie Module durch ihre komplexe Relationalität, Variabilität und Optionalität auch immer Vorschläge für Projekt- und Gruppenarbeit zur Stärkung des kooperativen Lernens und Verifizierung der erfundenen Wirklichkeiten. Der Internetunterricht erweist sich also als ein geeignetes Hilfsmittel, um den lehrwerkzentrierten Unterricht aufzubrechen (Wolff 1998:199), und die Lerner operieren dabei sinngenerierend und ganzheitlich und nicht atomisiert und zerstückelt.
Im Gegensatz zu Zimmermanns Dreiphasenmodell setzt der mehrdimensionale Internetunterricht inhalts- und erfahrungsorientiert bei den individuellen Sprach- und Kommunikationsbedürfnissen der Schüler ein, die diese bei der Bewältigung ihrer Aufgaben gegenüber ihren Lernpartnern und dem Lehrer artikulieren. Lexikalische und morphologische Fragen ergeben sich ebenso aus dem Kontext der Recherchen über altersspezifische Themenfelder wie kommunikative und interkulturelle Redeabsichten, die durch ihre realitätsnahe, situative Einbettung in den Lernprozess das Identifikationspotential steigern und ein Echtheitserlebnis (Rüschoff 1998:21) vermitteln. Der Schüler gestaltet und handelt aus der Notwendigkeit der Bewältigung der Alltagskultur. Dabei wird er schon in der Spracherwerbsphase durch ansprechende Inhalte dazu angeregt, morphologische Strukturen bewältigen zu wollen, Fragen zu stellen, Neigungen oder Ungeduld auszudrücken, Hilfe zu erfragen. In einer Didaktik des Fehlers mit dem Mut zur Lücke (Descoups 1999) sind Grammatik und Lexik kein Apriori für Sprachhandlungen.
Die mehrdimensionalen Hypertextnetzwerkstrukturen erfahren durch ihre Authentizität des deklarativen Welt- und Faktenarsenals keine didaktische Reduktion und Verfremdung, sondern bieten einen unendlichen Reichtum an themengebundenen Ressourcen mit sprachauslösender Funktion, sei es, um mit dem Lernpartner über Inhalte und Strategien der Informationsbeschaffung und -verarbeitung im Bereich der Literatur oder Landeskunde zu verhandeln, um Ergebnisse im Plenum vorzustellen, Referate zu verfassen und zu halten, sei es, um schülergesteuerte Themengebiete zu rezipieren, sich mit Muttersprachlern über E-Mail in Projekten interkulturell auszutauschen und Informationen anzuwenden, sei es, um eine Reise zu organisieren, CDs oder Bücher in der Zielsprache zu bestellen oder auch nur um interaktive Übungen in den vier Grundfertigkeiten des Spracherwerbs durchzuführen.
Die im Internet vorgefundenen Materialien mit hoher Varianz und modularer Hypertextarchitektur lassen sich aufgrund ihrer breiten Verflechtungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten anlässlich einer Lernaufgabe oder eines Problems lernergerecht verknüpfen und führen innerhalb einer konstruktivistischen Lerntheorie zur prozeduralen und produktorientierten Organisation und Gestaltung eines eigenen Lernweges. Die virtuelle Welt gebiert somit eine Unzahl von realen Implikationen, die sich, wie im natürlichen Spracherwerb, durch Eindrucksvielfalt, Eindruckstiefe, Ganzheitlichkeit und Verarbeitungsintensität (Meißner 1998:3) auszeichnen, aus denen wiederum Handlungsimperative für den Kommunikationsprozess und die Konstruktion der eigenen Wirklichkeit entstehen.
Der Lehrer assistiert als Helfer bei der Konstruktion der Lernwelten. Allerdings verstehen wir seine Ängste vor dem Elfmeter, da die Komplexität des Lerngegenstandes ihn in seinem eigenen Wissensanspruch verunsichert, weil sein Unwissen durch die Polyvalenz der Themen und Aufgaben wächst. Gerade diese Dimension des Unwissbaren sollte aber mit ein wenig Mut überwunden und als Chance verstanden werden, gemeinsam mit den Schülern zu lernen, da die Interaktion mit ihnen auch dem Lehrenden eine faszinierende Vielfalt von Weltangeboten zur eigenen Wirklichkeitskonstruktion anbieten kann.
Unter dem konstruktivistischen Postulat, dass der Lerner seine Wirklichkeit in der Interaktion mit der Lernumgebung selbsttätig konstruiert, entwickelt sich der Interneteinsatz mit seinen Hypertextstrukturen zur idealen Lernwelt par excellence, da der autonome selbsterfahrene Umgang mit Inhalten und zwischenmenschlichen Beziehungen für das Referenzsystem des Lerners eine ganze Welt darstellt. Die offene Herangehensweise an die Aneignung der multiplen Ressourcen ermöglicht eine permanente Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion von eigenen Lernwelten. Die verschiedenen Sichtweisen der Selbstkonstruktion, die sich aus den verschiedenen Beobachtungssystemen der Lerner ergeben, werden interaktionistisch überprüft und rekursiv in die Selbstkonstruktion zurückgeführt. Dabei erweisen sich alle Lernergebnisse als provisorisch und zeitbezogen und niemals als universelle Wahrheit.
Nun mag man einwenden, dass der Internetunterricht unter dem Menetekel der Virtualität stehe. Dürfte aber die erfundene Wirklichkeit des Konstruktivismus nicht weniger Probleme mit dem Umgang der Virtualität haben als eine objektiv statuierte Wirklichkeit, da die Virtualität als rekonstruierte Wirklichkeit ebenso ein Tummelfeld des Wissenserwerbs ist wie die ehedem nur vermeintliche Wirklichkeit? Auch wird der Konstruktivist, der bereits die alltägliche Wirklichkeit als Abbild der Dinge in Frage stellt, weniger Gefahr laufen, der Virtualität zu verfallen als ein hart gesottener Realist mit einer natürlichen Portion von Aversion gegen jedwede mediatisierte Wirklichkeit.
Konstruktivistische Essentials der Hypertexte in Opposition zum Lehrwerk
1. Prinzip der multiplen Kontexte und Zirkularität durch
Hypertextualisierung - Monokultur und Monodirektionalität eines
linearen Input-Output-Denkens
2. Offene Multidimensionalität und Eindrucksvielfalt der Perspektiven
in neuen Lernwelten - Geschlossener Monismus der Lehrerperspektive und
des Lehrwerks
3. Multipel verflochtene Vernetzung eines Gegenstandsbereiches in geschachtelten
Handlungssystemen - Isolierung von Lerneinheiten in Lehrbuchlektionen
4. Komplexität und naturbelassene Authentizität des Umweltkontextes
- didaktisch simplifizierter Reduktionismus
5. Mehrkanaliges, sensorisch-ganzheitliches Lernen durch Einbeziehung
verschiedener Sinnessysteme - einkanalig
6. Multiplikation, Pluralität und Heterogenität der Möglichkeiten
in einer offenen Matrix von Beziehungen - Gewaltsame Vereinheitlichung
und Harmonisierung
7. Strategisches Lernen - Steuerung von außen, Nürnberger
Trichter
8. Verbindung von schulischer Symbolebene und alltäglicher Realität
- Lernen für die Schule
9. soziale Implikationen, Kooperation und Interaktion - lehrergesteuerte
Rezeptivität und Passivität
10. Belebung des gesamten Stoffes durch Inputbreite - atomisierte
Ausschnitte
11. Inhaltsbezogenes Echtheitserlebnis, Betroffenheit, personale Einbindung,
interkulturelle, symmetrische Lernerinteressen - Künstlichkeit,
Entfremdung, Asymmetrie
12. Offen, modular, interaktiv, polyinstrumental, veränder- und
erweiterbar - starres Regelwerk
13. subjektgesteuert, ganzheitlich, multisensorisch, polyvalent, eindruckstief
und eindrucksvielfältig - fremdgesteuert, partiell, kognitiv
und monovalent
14. sinngenerierend, prozedural, dynamisch, provisorisch, unendlich,
interaktiv - sinnentleert und statisch
Internetunterrichtsmodule für die Sekundarstufe I und II
Die Heterogenität des Quellenmaterials im Internet entspricht zwar den Anforderungen einer lerner- und handlungsorientierten Didaktik, allein der institutionelle, curriculare und zeitliche Rahmen des Unterrichts erlauben es nicht jedem Schüler und Lehrer stundenlang im Internet durch den Infosmog der Hyperwelten zu surfen, bevor sie neben dem Pixel-Pin-up Lara Croft auch noch die für sie wichtigen Informationen gefunden haben. Die Forderung nach einer Öffnung des Klassenzimmers unter Einbeziehung von Elementen des natürlichen Lernens anhand der Nutzung von Netzwerkressourcen muss daher aus zeitökonomischen Gründen und zur Qualitätssicherung einhergehen mit einer partiellen Sichtung, Evaluation und strategischen Aufbereitung themenrelevanter Informationen hinsichtlich ihres didaktischen Verwendungskontextes.
Neben neuen lerntheoretischen Konzepten brauchen wir also auch Materialien, Orientierungshilfen und Strategien zu ihrer Umsetzung, so wie sie etwa von Debyser (L'Immeuble 1986), Caré (Iles 1980, Le Village 1993), Bombardieri (L'entreprise 1996), Pacthod (L'hôtel 1996), Schüle (Paris sans fin 1998) und Yaiche (1998) unter dem Begriff der Simulation globale entwickelt wurden. In diesem Kontext stellt Schüle seit 1998 Paris sans fin vor, ein konstruktivistisches, interaktives und unendliches Lehrwerk im Internet, zu dessen Mitarbeit alle Kollegen aufgerufen sind (http://www.zait.uni-bremen.de/wwwgast/schuele/francemail/Paris.htm). Das Studienseminar Krefeld (Wernsing 1998) versucht die alte Freinet-Idee der Klassenkonferenz wieder zu beleben, indem es einen virtuellen Lernort für deutsch-französische Jugendzeitschriften kreiert hat (http://www.gymsm.krefeld.schulen.net). Zweck der Veranstaltung ist nämlich, daß die Schüler die zu erlernende Fremdsprache als Transportmittel internationaler Verständigung kennenlernen und nicht bloß als zu erklimmenden Vokabel- und Grammatikberg. (Wernsing 1998:269)
In dem gerade erschienenen Internetthemenheft (1/2000) Der Fremdsprachliche Unterricht - Französisch stellt Sybille Franck mit Hilfe des Internets einen spielerischen Zugang zur Entdeckung einer Region vor Voyagez en Nord-Pas-de-Calais, indem sie mit den Schülern einer neunten Klasse zu der entsprechenden Lektion aus Découvertes 3 eine Stadtrallye entwirft, bei der jede Arbeitsgruppe sprachlich und inhaltlich Spielkarten zu einem Thema, etwa zu Lille, entwirft. Unter der Fragestellung, welche Themen des Lehrbuchs sich für eine unterrichtliche Integration des Internets nutzen lassen, entwickelt Stephanie Meer-Walter ebenfalls zu Découvertes 3 eine Interneteinheit mit dem Thema Tintin, Lucky Luke, les Schtroumpfs et les autres sur Internet. Le tour de la BD francophone. Die Schüler werden beauftragt, über die Lektionstexte hinausgehende Informationen zu den belgischen Comic-Serien zu recherchieren, um anschließend im Klassenzimmer eine kleine Ausstellung zu organisieren. Herbert Jancke konzipiert eine virtuelle Simulation für die Oberstufe zu dem Thema Le car est en panne. Am Stadtrand von Avignon müssen die Schüler sich mit der Situation auseinandersetzen, wie sie weiterreisen sollen, wo sie Essen und Unterkunft finden, was sie während der Wartezeit unternehmen.
Das Internet als Medium für landeskundlichen Französischunterricht in der Sekundarstufe I ist der Titel eines Artikels, in dem Christian Neumann (2000) die fremdsprachendidaktische Funktion des Internet als Ergänzung zu landeskundlichen Lehrbuchlektionen untersucht. Zur Lektion 4 von Découvertes 3 (vgl. S.Franck) entwirft Neumann ein Internet-Ouiz über die Region, bei dem die Schüler im natürlichen Kontext aus den angegebenen französischen Webseiten gezielt Informationen herausfiltern müssen. Die Informationsentnahme wird dabei durch die medienspezifischen graphischen und bildnerischen Elemente unterstützt. In der Internetunterrichtseinheit On loue un bateau sichten die Schüler unterschiedliche Angebote von Schiffsvermittlungen, um sich nach abgeschlossener Auswertung im Plenum für ein Angebot zu entscheiden. Die Informationsbeschaffung sowie die simulierten Dialoge richten sich dabei auf ein praktisches und reales Ziel. Fragenkataloge, Redemittel sowie Webseiten werden von Neumann angegeben.
Zur Vertiefung des Dossier 1 von Étapes 3 über die Loire entwerfen Schüler in einem Internet-Projekt von 4-6 Unterrichtsstunden eine Wandzeitung, auf der der Flusslauf von der Quelle am Mont Gerbier de Jonc bis zur Mündung in den Atlantik mit Hilfe von im Internet recherchierten Texten, Graphiken und Fotos dokumentiert wird. Die zu verwendenden Webadressen werden angegeben, wodurch inhaltliche Paradigmen mit folgenden Themenbereichen vorstrukturiert werden: Städte und Schlösser der Loire, Widerstandsaktionen gegen Staudammprojekte und Atomkraftwerke, historische, wirtschaftliche, politische und aktuelle Fragestellungen. - Dieses sehr anspruchsvolle Projekt, das sich eher an leistungsstarke gymnasiale Lerngruppen richtet, wird schließlich durch ein Gesamtschulprojekt für schwächere Schüler im Anschluss an Lektion 5B von Ensemble 3 ergänzt. Ziel ist die Erstellung eines Porträts der Region Poitou-Charentes.
Neben zweiunddreißig guten Gründen für den Interneteinsatz im Französischunterricht (Overmann 1999:208) haben wir selber unter handlungs- und subjektorientierten Gesichtspunkten für Schüler, Lehrer, Studenten und alle frankophilen Sprachabenteuerer eine überschauliche Auswahl von kommentierten und klassifizierten Netzadressen Les bonnes adresses francophones sur le Net zusammengestellt, die unterrichtsbegleitend, vor- oder nachbereitend, im Selbststudium oder auch privat nach dem Prinzip der Multidimensionalität in unterschiedlichsten Anwendungen hypertextartig verknüpft eingesetzt werden können. Alle Adressen sind überblickhaft kommentiert und per Mausklick direkt mit dem Netz verbunden.
Les bonnes adresses francophones sur le Net (1-5)
1. Les principaux moteurs de recherche - http://www.ub.uni-siegen.de/ext/overmann/baf1/
2. Les serveurs culturels et les pages pratiques - http://www.ub.uni-siegen.de/ext/overmann
/baf2/ : Les serveurs web culturels, les serveurs web administratifs et
politiques, les pages pratiques, apprendre le français, commander
des livres français, dictionnaires utiles, bibliothèques
virtuelles, l´hyperlittérature sur le Web
3. Les sites didactiques de français langue étrangère
- http://www.ub.uni-siegen.de/ext /overmann/baf3/ : Internet - Formation
à l´utilisation de ressources multimédias, grammaire,
civilisation française, quiz, répertoire de poésie
et de littérature, sites de lecture, chansons, auteurs didactisés,
bandes dessinées, les médias, échanges, correspondants,
mél, forum de discussion, sites pédagogiques généraux
4. Cours à exploiter en classe - http://www.ub.uni-siegen.de/ext/overmann/baf4/
5. Publications - http://www.ub.uni-siegen.de/ext/overmann/baf5/
Sechs didaktisierte, binnendifferenzierte und offene Internetmodule wurden für die Sekundarstufe I und II entwickelt und im Unterricht und in Lehrerfortbildungen erprobt. Diese Online-Unterrichtseinheiten behandeln folgende Themen:
1. Un ordinateur: introduction du vocabulaire et composition d'un petit
texte sur son utilisation. Niveau: 2ème année
2. Cours de civilisation sur la géographie de la France: 3ème/5ème
année
3. Cours de civilisation sur le bulletin météo: 2ème/4ème
année
4. La promenade du virtuo-touriste à travers le Paris virtuel
d'Internet. Niveau: 2ème à 6ème année de français
5. Travailler à partir d'une séquence vidéo ou
d'un film - Claude Chabrol: Au coeur du mensonge: Niveau bac
6. Ballade virtuelle à travers la Provence. Niveau: 3ème
à 6ème année de français
Kritischer Ausblick und Konklusion
Der Zugang zu unterschiedlichen Datenbanken, zu aktuellen und authentischen Texten, die teilweise medial aufbereitet, d.h. bild- und tonunterstützt sind, eröffnet zwar eine unendliche Webothek von Informationen und Möglichkeiten zur Integration von Sprach-, Literatur- und Landeskunde innerhalb einer interkulturellen Didaktik des Fremdverstehens, aber dieses Überangebot kann mangels der Fähigkeit des Informationsmanagements auch, wie wir gezeigt haben, bei unsachgemäßer Behandlung zu einer chronischen Informations-Bulimie und schließlich zum Daten-Overkill führen.
Hinter einem multimedialen Schein-Layout verbirgt sich häufig nichts Substantielles oder nur eine anarchische Struktur, Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit. Viele Inhalte erweisen sich als digitalisierter Datenmüll, Querverweise führen zu irreführenden oder auch jugendgefährdenden Angeboten wie über Hitler, Porno und Co (Müller 1999:46), so dass ein Gefühl des Lost in Cyberspace entstehen kann. Darüber hinaus begnügen sich viele Lerner mit dem wilden, unkontrollierten und ungezielten Sammeln von Informationen, in dem Glauben, dass Informationsbesitz gleichbedeutend mit Wissenskonstruktion sei. Gedanken- und Ideendiebstahl von Schul-, Studenten- und Forschungsleistungen gehören zum Alltag, die kulturkritische Überprüfung der Seriösität der Informationen sowie ihre Analyse und Bewertung erscheinen zweitrangig, und persönliche Verantwortlichkeit wird durch unkritische Gutgläubigkeit unterlaufen.
Medienkompetenz umfasst daher nicht nur das Wissen über heutige Mediensysteme und deren Anwendung in Form von Medien-Kunde, Medien-Nutzung und Medien-Gestaltung, sondern insbesondere auch die Fähigkeit zu Medienkritik, indem gesellschaftliche Prozesse analysiert und in der Reflexion auf das eigene Handeln sowie den ethischen Rückbezug auf die soziale Verantwortung abgestimmt werden.
Die Nutzung des multimedialen Mediums impliziert nicht per se einen Lernerfolg. Der Erwerb einer strategischen Kultur- und Medienkompetenz muss erst schrittweise aufgebaut werden. Globales und selektives Lesen sowie Techniken zur Erschließung von Hypertexten, schon auf der Ebene der Informationsbeschaffung, intensive Spracharbeit und konzentrierte Auseinandersetzung mit den Inhalten der recherchierten Webseiten sowie eine kritische Auswertung und das abschließende selbständige Verfassen eigener Texte dürfen bei der Internetarbeit nicht vernachlässigt werden.
Wenn im selbstbestimmten Lernprozess die intrinsische Motivation der Lerner durch die Mitbestimmung der Unterrichtsinhalte einen stärkeren Realitäts- und Subjektbezug erfährt, wenn sprachliches, soziales und interkulturelles Handeln durch die elektronischen Anschlagbretter der Newsgroups, die Chats als einer Art schriftlicher Telefonkonferenz sowie die Vorteile internationaler E-Mail-Kontakte durch eine stärkere Interessenidentifikation der Dialogpartner im multiperspektivischen Meinungsaustausch lebendiger gestaltet wird, weil in der interaktiven multidirektionalen Netzkommunikation jeder Schüler zugleich Sender und Empfänger ist, so wird das Lernen jedoch auch in Zukunft mit Anstrengung verbunden sein. Aber vielleicht werden diese Mühen leicher überwunden, wenn sie für den Lerner in verstärktem Maße einen sinnvollen und insbesondere auch emotionalen Bezug zur Ankopplung an seine eigenen Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse darstellen und durch eine persönliche Herausforderung sowie Produktorientiertheit mit mehr Freude und Teilnahme als notwendige Voraussetzung zur Sinnkonstruktion angegangen werden. Entscheidend ist, dass bei den Lernenden eine emotionale Disposition des Verstehen-Wollens geschaffen wird.
Wenn die Lerner auch eine größere Verantwortung für das Management ihres Lernprozesses erhalten werden, so sei jedoch davor gewarnt, sie unvorbereitet ins Netz zu schicken und der Illusion zu verfallen, sie könnten unmittelbar und selbständig Informationen auffinden und Wissen konstruieren. Eine klare thematische Einbettung der Internetrecherchen und -arbeit in den Unterrichtszusammenhang ist unbedingt notwendig, wobei das Lehrbuch im Allgemeinen weiterhin die Funktion der sprachlichen und inhaltlichen Hinführung und Aufbereitung des Themas garantieren wird. Eine gezielte ergänzende Verarbeitung sowie Vertiefung wird im Rahmen einer Medien- und Methodenvielfalt allerdings immer häufiger durch das WWW realisiert werden, wobei gelenkte und offene Recherchen alternieren werden.
Der interkulturelle Mehrwert des Internet wird die sprachliche,
landeskundliche, literarische und ästhetische Sozialisation der Lerner
zwar manifest verändern, jedoch wird er im Schulalltag nur eine komplementäre
Funktion zu den Printmedien bedeuten, die allein eine sinnvolle Progression
garantieren und in veränderter Form ihre Existenzberechtigung beihalten.
Allerdings wird das Lehrwerk nicht mehr die einzige Quelle von Lehrinhalten
repräsentieren, da das World Wide Web in zunehmendem Maße zum
Verteiler von Lehrmaterialien und didaktisierten Informationsressourcen
anvancieren wird.
Die Verlage werden in Zukunft also ein Fundamentum von Internetmodulen in die Lehrbücher integrieren müssen, die online auf den Verlagsservern durch Aktualisierungen und freie Module sowie didaktisierte Zusatzmaterialien als Fundgrube für einen aufgaben- und projektorientierten Unterricht im Rahmen einer explorativen und individualisierten Didaktik ergänzt werden, so dass mittelfristig für Lehrer und Lerner ein geordneter Materialpool mit realitäts- und lernerbezogenen Themen entsteht, der einer konstruktivistischen Lernumgebung mit multiplen Anreizstrukturen entspricht. Besonders schwierige Themen, Texte oder Sprachmaterialien könnten darüber hinaus in Hypertextform mit lernunterstützenden lexikalischen, grammatikalischen, bildlichen, landeskundlichen, interkulturellen und aktuellen Informationsreferenzen aufbereitet und dem Lerner komplementär zum Lehrbuch online im Rahmen einer Flexibilisierung der Lernprozesse zur Verfügung gestellt werden. Die stärkere Berücksichtigung der verschiedenen verbalisierenden oder visualisierenden kognitiven Lernstile könnte in entsprechend adaptiven WWW-Modulen zu einem lernwirksameren Abspeichern und Abrufen von Wissen führen, wie einige empirische Untersuchungen bereits andeuten (Plass 1999:19). So fördern Bilder bei besonders relevanten Textinformationen durch Visualisierung die Begriffsbildung und Animationen oder Videosequenzen das Verständnis der Zusammenhänge von Informationen. Visuelle Elemente können daher andere unzureichende kognitive Prozesse kompensatorisch ergänzen.
Nun wollen wir nicht behaupten, dass die Verlage auf diesem Gebiet untätig
seien, und wer sich bei Klett ( http://www.klett-verlag.de/download/) oder
Cornelsen (http://www.cornelsen.de/cgi/WebObjects/COL.woa) einmal umsieht,
wird durchaus schon einige Downloadmaterialien finden. Allein handelt es
sich hier häufig auch um Werbeangebote für Lernsoftware, allgemeine
Linksammlungen oder didaktisch noch bescheidene Unterrichtsmaterialien.
Es fehlen sowohl Hypertexte und weiterführende Interneteinheiten zu
einzelnen Lektionen der Lehrwerke als auch fertig didaktisierte, binnendifferenzierte
Unterrichtsprojekte im Bereich der Landeskunde im Sinne eines handlungsorientierten
interkulturellen Fremdsprachenunterrichts, die unmittelbar zum Einsatz
gebracht werden könnten. Die Didaktisierung von freien Modulen halten
wir für besonders wichtig, weil die Materialien und Zusatzmaterialien
zu den Lehrbüchern mittlerweile so umfangreich geworden sind, dass
mancher Lehrer den Überblick verlieren mag und sich nach etwas mehr
Freiraum sehnt, und der Lerner wünscht sich nicht unbedingt, in der
Multimedia-Werkstatt noch mit einer dritten Variation von Lektion 4 konfrontiert
zu werden, es sei denn als weiterführendes Projekt oder problemorientierte
Aufgabe. Öffnung von Unterricht und Methodenpluralität erfordern
daher nicht ein Mehr an Unterrichtsmaterialien, sondern vielmehr Entrümpelung
und alternative Stoffe, die in einer innovativen Print- und Onlineversion,
in der Schule und zu Hause, komplementär interagieren könnten.
Baacke, Dieter (1999): Im Datennetz. Medienkompetenz (nicht nur) für Kinder und Jugendliche als pädagogische Herausforderung, in: Baacke, Dieter /Lauffer, Jürgen /Thomsen, Maja (Hrsg.): Ins Netz gegangen. Internet und Multimedia in der außerschullischen Pädagogik, Bielefeld, S. 14-28.
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