Totum individuum
sua tota entitate individuatur
(Leibniz, De individuo)
Inhaltsverzeichnis:
Radikales Fragen oder didaktische Sophisterei
zur Lerntheorie
Grunds�tze
der kognitiven Psychologie und Neurobiologie
Konstruktivistische
Reflexionen �ber die Wirklichkeit
Zusammenstellung konstruktivistischer
Essentials
Konsequenzen f�r die Lerntheorie
Die Trias Lernumgebung-Lerner-Lehrer
Bibliographie
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Radikales Fragen oder didaktische Sophisterei zur Lerntheorie
Wenn die Maxime von David Little that all genuinely succesful learningis in the end autonomous (Little 1994:431) der Wahrheit entspricht, sind wir als P�dagogen nur dann erfolgreich, wenn diese Pr�misse der Autonomie als conditio sine qua non erfolgreichen Lernens in unserem Unterricht Ber�cksichtigung findet. Da die meisten Lehrmeister ihren Unterricht, zumindest in Teilaspekten, f�r erfolgreich halten d�rften, m��ten wir schlu�folgern, da� die Autonomie in der Schule ein weit verbreitetes Prinzip zu sein scheint.
Diese Schlu�folgerung wagen wir allerdings, und sei es nur auf Grund unserer eigenen Erfahrungen und Beobachtungen, zu bestreiten. Also ist entweder die Pr�misse nicht richtig - welches bedeutete, da� nicht jedwedes, d.h. all genuinely learning auf Autonomie gr�ndete und somit auch andere Grunds�tze zu Lernerfolg f�hren k�nnten - , oder unsere Selbstevaluation ist falsch, da� unser Unterricht erfolgreich sei. Welcher Lehrer w�rde aber dieses von seinem Unterricht behaupten wollen. Lieber ziehen wir uns noch hinter die Ambiguit�t der Begriffe Autonomie und erfolgreich zur�ck, solange deren Definition noch als Desiderat aussteht.
Andererseits k�nnen wir nicht leugnen, da� es Kollegen gibt, die unsere direkte Unterrichtsmethode f�r wenig erfolgreich halten; meistens sind es gerade diejenigen, deren alternative Methoden wir in Frage stellen m�chten. Denn w�hrend unsere Sch�ler unter nur leichtem und nahezu unauff�lligem Druck alle zur gleichen Zeit mit der gleichen Methode im 45-Minuten-Takt das gleiche deklarativ-abfragbare Wissen erwerben, und zwar unabh�ngig von ihren partikul�ren Neigungen, Interessen oder sogar Launen, alle diszipliniert und aufmerksam die jeweils f�r ihren Kenntnisstand vorstrukturierten Inhalte und �bungen der Lehrbuchlektionen in immer gleicher Abfolge (input - �bung - output) sorgf�ltig bew�ltigen, nur sprechen, wenn sie dazu aufgefordert werden, im Ping-Pong-Verfahren auf unsere Lehrerfragen pa�genaue Antworten produzieren oder eine vordozierte Interpretation ziemlich genau rekonstituieren, werden diese Lernziele von manchen Kollegen, die dazu tendieren,� ihre Sch�ler die Lernziele, -inhalte und -progression selbst bestimmen oder mitbestimmen zu lassen, nicht einmal mehr intendiert.
Die Sch�ler w�rden in unserem Unterricht, so behauptet man,� fremdgesteuert und rezipierten oder reproduzierten passiv nur reaktives Wissen, welches eine Art Unwissen sei, da es mit keinerlei selbstt�tiger Erkenntnis verbunden w�re. Sie plapperten papageim��ig nur nach, was wir ihnen vorgesprochen h�tten und angeblich die Intention des Autors widerspiegelte, welche die Sch�ler nicht unbedingt beeindruckte, w�hrend ihre Sch�ler, so meinen wir, Interpretationen verfassen, f�r deren Verst�ndnis der Lehrer einer Interpretationshilfe bed�rfte oder weniger die Biographie des Autors als vielmehr den Lebenslauf der Sch�ler kennen m��te.
Genau bei diesen Kollegen, die ihre Sch�ler zum Fehlermachen auffordern und sich mehr f�r deren Wohlbefinden als den Lerngegenstand interessieren, gilt die vermeintliche Bildungsresistenz einiger aufm�pfiger oder verhaltensauff�lliger Sch�ler als selbstbewu�tes, selbst�ndiges, selbstverantwortliches und kritisches Lernverhalten, so da� sich der Grad der Anpassung der Sch�ler an die tradierten Werte des Unterrichts als umgekehrt proportional zu ihrem Lernerfolg erwiese. Daraus erg�be sich, da� nur der Sch�ler etwas lernte, der sich erfolgreich der instruktivistischen Lernerkonditionierung entz�ge, da die pr�skriptive Steuerung und permanente Kontrolle des Sch�lers durch den Lehrer seine Autonomie und damit erfolgreiches Lernen be- oder sogar verhinderte.
Nur dr�ngte sich bei diesem eher sch�ler- und subjektzentrierten Unterricht die Frage auf, was die Sch�ler noch lernten? Vielleicht das, was wir nicht intendierten? Lernen w�re dann ein arbitr�res Produkt, das von au�en nicht gesteuert werden k�nnte, weil der Sch�ler nur diejenigen Inhalte assimilierte, die ihn pers�nlich ergriffen.
Setzen wir rein hypothetisch den Fall, da� unsere Kollgen Recht h�tten, wenn sie unsere altbew�hrte Wissenskonditionierungsmaschinerie als vermeintlich ideale Unterrichtsmethode kritisierten: M��ten wir dann nicht generell Zweifel daran hegen, ob Sch�ler �berhaupt noch etwas Sinnvolles oder sogar N�tzliches in einem formalen, durch Lehrpl�ne und Rahmenrichtlinien bestimmten Unterrichtskontext lernen k�nnten? H�tte unser Unterricht tats�chlich so wenig mit dem richtigen Leben gemeinsam wie die Kirchenmaus mit der christlichen Religion? W�rden unsere Sch�ler tats�chlich mit der Einschulung zu Sklaven der Fremdbestimmung in einer Bildungsanstalt, die Selbstbildung durch Anh�ufung von totem Wissen nur behinderte?
Wir wollen im Folgenden versuchen, den Begriff der Lernerautonomie und
Wissenskonstruktion auf den Grundlagen kognitionspsychologischer und konstruktivistischer
Ans�tze positiv zu bestimmen, um anschlie�end zu reflektieren,
wie die Lerntheorie einer konstruktivistisch orientierten Didaktik den
Individuationsproze� des Lerners als prim�res Unterrichtsziel
f�rdern kann.
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Grunds�tze der kognitiven Psychologie und Neurobiologie
Im Gegensatz zur behavioristischen Lerntheorie der klassischen Konditionierung (Pawlow, Skinner) als Reiz-Reaktions-Theorie, in welcher der rein passive Lerner als wei�es Blatt durch Umweltreize beschrieben und durch steuerbare Stimuli zur Verhaltens�nderung determiniert wird, beschreibt die kognitive Entwicklungstheorie Jean Piagets das Lernen als dynamischen, intra-personellen Konstruktionsproze� des selbstt�tigen Individuums.
Der Lerner braucht die Umwelt lediglich als Anregung und Matrix seiner Entwicklung, jedoch gehen die wesentlichen Impulse von ihm selber aus, weil er aktiv nach dem sucht, was ihm in seiner Umwelt zum Problem wird, um mit der L�sung des Problems Erkenntnis aufzubauen. Die kognitive Strukturbildung entsteht in der t�tigen Auseinandersetzung des Subjekts mit den Erlebnisgehalten, die �ber die Umwelt vermittelt werden.
Im Sinne einer kumulativen Vervollst�ndigung bezeichnet Assimilation nach Piaget den Versuch des Individuums, jede neue Interaktionserfahrung mit der Umwelt in eine bereits bestehende Verhaltensstruktur zu integrieren. Vorhandene Erfahrungsschemata werden aktiviert, um Informationen durch aktive Organisations- und Verarbeitungsleistungen des Individuums an bisheriges Wissen anzugleichen. Gelingt der assimilatorische Akt unter den gegebenen Wissensbedingungen nicht, kommt es im Erlebnisfeld des Subjekts zu einer kognitiven Widerspr�chlichkeit. Da das Streben nach Hom�ostasie f�r Piaget eine grunds�tzliche Lebensgesetzlichkeit darstellt, versucht das Individuum nun durch Akkomodation eine neues Gleichgewicht zwischen Organisums und Umwelt herzustellen.� Kognitive Assimilation, so Glaserfeld, kommt zustande, wenn ein kognitiv aktiver Organismus eine Erfahrung in die konzeptuelle Struktur einpa�t, �ber die er jeweils verf�gt. (Glaserferld 1994:28) Wird das Ziel nicht erreicht, kann die sich ergebende St�rung zu einer Akkomodation f�hren.(S.33)
Auf dem Weg zur optimalen Anpassung an die Umwelt kommt es zu einer st�ndigen Neuorganisation der vorhandenen und neu herausgebildeten Strukturen. Dabei schafft der �quilibratonsproze� nach Piaget einen Ausgleich zwischen Strukturerhaltung (Assimilation) und Umweltanpassung (Akkomodation) und ist die treibende Kraft hinter der kognitiven Aktivit�t des Individuums.
Die Sinneswahrnehmung des Menschen, so das Ergebnis der Recherchen der Kognitionswissenschaftler und Psycholinguisten der siebziger Jahre (Wolff 1994), bildet die Wirklichkeit nicht ontologisch-objektiv ab, wie sie an sich ist. Jedes Individuum konstruiert seine Wirklichkeit rein subjektiv, indem es die durch die Sinne aufgenommenen Informationen auf der Grundlage seiner pers�nlichen Erfahrungen und seines Weltwissens verarbeitet. Durch diesen informationstheoretischen Ansatz, da� jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit entwirft, die mit keiner anderen Wahrnehmung eines zweiten Individuums �bereinstimmt, gelangte die kognitive Psychologie zu ihrer Grundthese, da� Wahrnehmung, Verstehen und Lernen gehirnphysiologische Konstruktionsprozesse der geistigen Operationen des t�tigen Subjekts sind, das in seiner informationsaufnehmenden und -verarbeitenden Individualit�t einzigartig ist.
Zur gleichen Zeit wie die Kognitionspsychologie - und auf diese rekurrierend - entwickelte auch die Textlinguistik und Rezeptions�sthetik Verstehenstheorien, die das rezipierende Subjekt zum Prometheus der Texterschlie�ung, verstanden als eigenst�ndige Textkreation, erhoben (Overmann 1999b). Die Zusammensetzung der einzelnen Zeichen zu einem koh�renten Ganzen sowie die Konstruktion von Sinn werden vom aktiven Subjekt geleistet, das den Text aufgrund seines Erfahrungshorizontes neu und individuell erschafft. Der aktive Rezipient� wird zum Mitsch�pfer bei� der Konstruktion seiner Fassung eines Kunstwerkes, das Umberto Eco zufolge dann als� offenes Kunstwerk bezeichnet werden kann, wenn es auf tausend verschiedene Arten interpretiert werden kann, ohne da� seine irreduzible Einmaligkeit davon angetastet w�rde. Jede Rezeption ist so eine Interpretation und eine Realisation, da bei jeder Rezeption das Werk in einer originellen Perspektive neu auflebt (Eco 1977:30).
Da menschliche Wahrnehmung auf individuell mentaler Sinnkonstruktion basiert, die neurophysiologisch im menschlichen Gehirn abl�uft, kann Peschel behaupten, da� wir als lebende und denkende Organismen niemals mit der Wirklichkeit an sich umgehen, sondern es ausschie�ich mit jener Wirklichkeit zu tun haben, die wir �ber unsere Sinnesorgane erfahren, also unsere kognitive Realit�t, die wir aus den "Perturbationen" der Wirklichkeit (re)konstruieren. (Peschel 1990:11) Wirklichkeit existiert also nur subjektiv im Gehirn und alles Wahrgenommene ist ein Konstrukt unserer neuronalen Aktivit�ten, die in einem geschlossenen System interagieren. (Peschel 1990:29)
Nun m�gen die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Anschauungen durchaus zu neuen Begr�ndungsverfahren gef�hrt haben, allein die Erkenntnisse und auch die Zweifel, ob die Welt �berhaupt erkannt werden kann, stammen schon aus der pyrrhonischen Skepsis, der philosophischen Hermeneutik und dauern bis zu den theoretischen Physikern der Gegenwart an. - Die Rezpetions�sthetik und das subjektive Verstehen als Nicht-Verstehen k�nnen wir von Humboldt �ber Schleiermacher und Gadamer (Overmann 1998) bis zum Dekonstruktivismus Derridas verfolgen, und die atomistische Abbildungstheorie der Griechen (Overmann 1993:32) und der daraus resultierende naive Realismus, der von einer Widerspiegelung der Wirklichkeit ausging, wurde schon von Platon im H�hlengleichnis in Frage gestellt.
Sp�testens seitdem� Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft
Raum und Zeit als Anschauungsweisen der menschlichen Erfahrung aus dem
Bereich der absoluten Wirklichkeit in den der Ph�nomene zur�ckholte,
sprechen wir von der Kopernikanischen Wende in der Erkenntnistheorie und
damit von der Subjektivit�t der Wahrnehmung und der Unm�glichkeit
der objektiven Erkenntnis des Dinges an sich. Bisher nahm man an, alle
unsere Erkenntnis m�sse sich nach den Gegenst�nden richten (...)
Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik
besser fortkommen, da� wir annehmen, die Gegenst�nde m�ssen
sich nach unserer Erkenntnis richten. (Kant, Kritik der reinen Vernunft,
BXVI) Genau in diesem Kontext bemerkt Ernst von Glaserfeld: Wenn Zeit
und Raum aber Koordinaten oder Ordnungsprinzipien unseres Erlebens sind,
dann k�nnen wir uns Dinge jenseits der Erlebenswelt �berhaupt
nicht vorstellen, denn Form, Struktur, Ablauf von Vorg�ngen oder Anordnungen
irgendwelcher Art sind ohne dieses Koordinatensystem im wahrsten Sinn des
Wortes undenkbar (Glaserfeld 1991:23).
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Konstruktivistische Reflexionen �ber die Wirklichkeit
Der Konstruktivismus rekrutiert seine Grundideen aus den Ergebnissen der Kognitionspsychologie und neurobiologischen Forschung und geht namentlich auf Denker zur�ck wie Heinz v. Foerster, Ernst v. Glaserfeld, Paul Watzlawick, Humberto Maturana, Gerhard Roth u.a., die �ber Wittgensteins These Diese Welt ist meine Welt philosophiert haben. Dabei lehnen sie �bereinstimmend die f�r die traditionelle Erkenntnistheorie wesentliche Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt ab sowie die auf Descartes zur�ckgehende Auffassung eines kausal-mechanizistisch funktionierenden Mikro- und Makrokosmos (Overmann 1993:131-148).
Auf die alte Frage, Was ist die Wirklichkeit� und Was ist erkennen antwortet Maturana (1997) mit seiner These, da� die Welt durch unsere Wahrnehmung mental konstruiert wird. Da es aber bei dem Wahrnehmungsvorgang zu einer Wechselwirkung zwischen Beobachter und Beobachtetem kommt, kann es keine vom Betrachter unabh�ngige objektive Welt geben. Das Bild entsteht im Auge des Betrachters, und dieser ist f�r seine Weltsicht, die eine m�gliche Konstruktion unter vielen ist, verantwortlich.
Die Wirklichkeit ergibt sich demnach aus der kognitiven Konstruktion unseres Gehirns, das die Umwelt immer nur als Objekt eines Subjekts perzipiert, so da� die Wirklichkeit nicht ohne einen Beobachter, d.h. ein denkendes und erkennendes Wesen existiert. Nun d�rfen wir nicht annehmen, da� die Au�enwelt im solipsistischen Sinne Berkeleys (esse est percipi) gar nicht existierte, da das Gehirn sehr wohl von au�en �ber die Sinnesorgane erregt wird und sich die Wirklichkeitskonstruktion interaktionell bew�hren mu�; allein diese Reize beinhalten keine bedeutungstragenden oder objektiven Informationen �ber die Welt. Die elektrische Aktivit�t der Rezeptorzelle - und im Grunde genommen aller Nervenzellen - codiert lediglich die Intensit�t der Erregung, die sich darin widerspiegelt, wie oft die Zelle feuert. Sie codiert jedoch nicht die Art und das Wesen der Erregung.(Segal 1986:127) Das Nervensystem, so Maturana, erzeugt keine Kognition. (1998:32) Das Gehirn erschlie�t erst durch den Vergleich und die Kombination der sensorischen Elementarerlebnisse anhand interner Kriterien eine rein subjektive Bedeutung, wobei die Nervenzellen lediglich die Intensit�t einer Erregung kodieren, nicht aber deren Art und Herkunft. Die Realit�t existiert also zwar bewu�tseinsunabh�ngig und transph�nomenal, erkenntnistheoretisch bleibt sie aber vollkommen unzug�nglich (Roth, 1995:288, 321).
Was den erkenntnistheoretischen Standpunkt des Konstruktivismus anbelangt, so behauptet Roth, da� er sich zwangsl�ufig aus der Konstruktivit�t unseres Gehirns ergibt, das die Welt grunds�tzlich nicht abbilden kann. Gehirne m�ssen konstruktiv sein, und zwar sowohl von ihrer funktionalen Organisation als auch von ihrer Aufgabe her, n�mlich ein Verhalten zu erzeugen, mit dem der Organismus in seiner Umwelt �berleben kann. Dies letztere garantiert, da� die vom Gehirn erzeugten Konstrukte nicht willk�rlich sind (Roth 1995:21).
Da die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, unsere Erfindung ist
(Foerster 1999:40), m�ssen wir nicht nur Abschied von der Objektivit�t
nehmen,
sondern nach Glaserfeld auch das Verh�ltnis von Wirklichkeit und Wissen
neu definieren (Glaserfeld 1999:19f.). Da Erkenntnis nicht mehr eine ikonische
�bereinstimmung mit einer absoluten Wirklichkeit bedeutet, r�ckt
nicht nur die Eigenverantwortung der Wirklichkeitskonstruktion und die
Handlungsf�higkeit des Individuums in den Vordergrund, sondern es
findet auch eine Einsicht in die Relativit�t des eigenen Erkennens
statt, in die endlose Metamorphose von Interpretationen, die einander
abl�sen (Varela 1999:308). Die Aufgabe eines absoluten Wahrheitsanspruches�
f�hrt dar�ber hinaus nach Watzlawick zu einer Abkehr von jeglicher
Doktrin oder Ideologie (Watzlawick 1999:192ff.)� sowie zu� gr��erer
Toleranz und Pluralismus gegen�ber anderen Wirklichkeitskonstruktionen.
Im Konstruktivismus, der auf bestimmten Postulaten aufbaut, geht es nicht
um Wahrheitsfindung oder einen objektiven G�ltigkeitsanspruch, sondern
um die logische Konsistenz und den praktischen Wert der Theorie, die so
lange besteht, wie ihre Folgerungen nicht falsifiziert werden, d.h. in
Widerspruch zum allgemeinen Prinzip treten.
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Zusammenstellung konstruktivistischer Essentials
1. Der Konstruktivismus ist eine psychologische und philosophische Theorie
der Wahrnehmung.
2. Wahrnehmung und Erkenntnis k�nnen von au�en nicht steuernd
beeinflu�t werden.
3. Die Realit�t existiert nicht unabh�ngig vom wahrnehmenden
Subjekt und kann nicht objektiv erfa�t werden.
4. Es gibt keine Wirklichkeit ohne einen Beobachter, denn Denken und
Erkennen sind nicht von demjenigen zu trennen, der denkt und erkennt.
5. Wir erkennen die Dinge nicht so, wie sie an sich sind, sondern nur
so, wie sie uns erscheinen.
6. Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.
(Foerster 1999:40)
7. Die Realit�t selbst ist prinzipiell unerkennbar.
8. Der Aufbau von Wissen ist immer an die kognitiven Funktionen des
Beobachters gekoppelt; Realit�t ist immer kognitive Realit�t.
9. Der Mensch ist ein autonomer, selbststeuerender, rekursiv organisierter
und sturkturdeterminierter denkender Organismus, den Maturana als autopoietisch
bezeichnet.
10. Im Sinne des radikalen Konstruktivismus steht der Mensch als geschlossenes,
selbsterhaltendes System nicht in einer Ursache-Wirkung-Beziehung zur Umwelt.
11. Der Mensch ist zwar strukturell an die Umwelt angekoppelt und versucht
durch die Aufrechterhaltung seiner zirkul�ren Organisation ein konstantes
Equilibrium zu erhalten, um sein �berleben zu sichern, die Au�enwelt
hat aber keinen direkten monokausalen Einflu� auf den Kognitionsproze�.
12. Die menschliche Wahrnehmung ist, �hnlich wie bei den kognitiven
Verstehenstheorien, ein neuronaler Konstruktionsproze� im Gehirn,
der �ber die Sinnesorgane ausgel�st wird.
13. Die neuronalen Aktivit�ten sind rein subjektbezogen und interagieren
in einem geschlossenen System.
14. Der Mensch filtert als beobachtendes System die ihn perturbierenden
wahrgenommenen Ph�nomene auf seine subjektgesteuerte Art und Weise
und konstruiert seine ihm eigene kognitive Wirklichkeit durch die F�higkeit
zur Selbstorganisation.
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Konsequenzen f�r die Lerntheorie
Die durch den Konstruktivismus implizierten lerntheoretischen Grunds�tze der Konstruktion einer Wissenserwerbstheorie scheinen zun�chst im Widerspruch zu den Postulaten der didaktischen Vernunft zu stehen, welche die Wissensvermittlung traditionellerweise als Informationstransfer auffa�te. Wenn Wahrnehmung und Erkennen mentale Operationsprozesse sind, die vom Lernenden individuell auf der Grundlage seines Vorwissens realisiert werden, und wenn unsere Vorstellungen keine objektive Wirklichkeit wiederspiegeln, sondern entsprechend der neurobiologischen Auffassung nur die Eigenaktivit�t unseres Gehirns, das durch unspezifische Impulse der Umwelt gereizt wird, l�st der Lehrende nur den Transport von Energien aus, welche die Gehirnaktivit�ten anregen, aber niemals von bedeutungstragenden Informationen. Wissen bleibt nach Maturana als Erfahrung immer etwas Pers�nliches und Privates, das nicht �bertragen werden kann. Das, was man f�r �bertragbar h�lt, n�mlich objektives Wissen, mu� immer durch den H�rer geschaffen werden, der f�r das Verstehen (vor)bereit(et) ist. (Maturana 1998:22)
Die physikalische Beschaffenheit der Nervenimpulse ist gleich. Entscheidend ist, wo die Impulse landen. Kommen sie in der Sehrinde an, werden sie als "Bild" interpretiert. Kommen sie in der H�rrinde an, werden sie als T�ne, Ger�usche oder Sprache gedeutet. (Br�gelmann 1997:180) Das au�erhalb der Ursache-Wirkung-Beziehung liegende autopoietische System konstruiert im Gehirn immer nur m�gliche Bilder von Welten, und es bleibt grunds�tzlich offen, wie weit dieselben Reize von verschiedenen Beteiligten als gleich erlebt werden bzw. dieselbe Situation aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen zu individuellen kognitiven Strukturen verarbeitet wird - eine geradezu aporematische Erkenntnis f�r einen Lehrenden, der sein Wissen in die K�pfe der Lernenden �bertragen wollte.
Unterricht darf nicht (mehr) als Transport von Wissen, sondern mu� als Arrangement von Lernm�glichkeiten begriffen werden, so fordert Hans Br�gelmann in seinem Aufsatz Offene Bedeutungen durch geschlossene Gehirne (1997:179). Die Lernumgebung erweist sich als entscheidend f�r die Wissenskonstruktion. Das Gerhirn errechnet im Rahmen des neurophysiologischen Mechanismus unserer Wahrnehumg aus der unstrukturierten F�lle der Nervenreize m�glichst stabile, sinnstiftende Wirklichkeiten. Die Wirklichkeitskonstruktion ist dabei niemals objektiv, sondern wird von der mentalen Struktur des Lerners, seinen W�nschen und Erwartungen bestimmt.
Nun leugnet der Konstruktivismus nicht, da� es Formen der Beeinflussung gibt, die er Perturbationen nennt und die nicht inhaltsbestimmt sind, allerdings mu� der Lerner willentlich eine Integration der Stimuli bef�rworten, damit �u�ere Faktoren assimiliert, d.h. in die autodeterminierte Struktur des Systems aufgenommen werden. Gehirnphysiologisch ist eine Beeinflussung oder Perturbation aber nur dann m�glich, wenn das Individuum sie zul��t, d.h. f�r sie offen ist. Erst dann wird die elektrische Aktivit�t der Rezeptorzellen in subjektbestimmte Vorstellungen verwandelt. Da jedes selbstlernende System die durch die Lernsituation erzeugten Perturbationen und die damit verbundene Zuschreibung von Sinn und Bedeutung unterschiedlich equilibriert, kann allerdings niemals eine genaue Lernzielangabe formuliert werden. Eine Theorie des Wissens oder vielmehr des Unwi�baren (Foerster 1997:14-32) m��te sich dieses Schwebezustandes bewu�t sein, der durch die relative Unabh�ngigkeit des Endverhaltens von der Ur-Sache entsteht.
Nun will der Konstruktivismus dem Lehrer nicht vorschreiben, keine Instruktionen mehr zu geben; allein mu� sich der Lehrer bewu�t sein, da� er keinen objektiv steuernden Einflu� auf die Art und Weise hat, wie das autopoietische System des Lerners die Reize in sinngenerierende Vorstellungen umdeutet.
Der Lernende nimmt das Wirklichkeitsangebot unterschiedlich wahr, und jede Einwirkung auf den Lerner konvergiert auf dessen Eigenwert, der zu einer Stabilit�t des Systems tendiert. In bezug auf den Lernerfolg ist der Lehrer immer nur auf Hypothesen und Vermutungen festgelegt. Daher erscheint auch eine Lernzielkontrolle in Form einer Klassen- oder Kursarbeit, die an alle Sch�ler dieselben Erwartungshaltungen stellte, ein Widerspruch zur konstruktivistischen Lerntheorie, weil der jeweilige Input entsprechend den verschiedenen inneren Zust�nden des Lerners und physiologischen Transformationen� unendlich viele M�glichkeiten des Outputs generieren kann. Aus diesem Grunde lehnen Maturana und Varela auch den Begriff der Information ab. Das Gehirn erh�lt in seiner operationalen Geschlossenheit �ber das Nervensystem keine inhaltliche Information, sondern einen neuronalen Reiz, den es selektiv und autonom umdeutet, verrechnet und quasi digital transformiert und auf seine Anschlu�f�higkeit hin pr�ft.
Eine Evaluation, die nicht als Selbstevaluation oder Hilfe zur Selbstevaluation verstanden wird, ist aus konstruktivistischer Sicht nicht sinnvoll, da der Lehrer nicht bewertet, was der Lernende mental assimliert hat, sondern Defizite aufzeigt, die der Lerner vielleicht gar nicht assimilieren wollte. Die Erwartung der vorschriftsm��igen Antwort des Lernersystems f�hrt dar�ber hinaus nach Foerster zur Amputation interner Zust�nde und zur Blockierung der Entwicklung unabh�ngigen Denkens (Foerster 1993:145). Es scheint daher kognitionspsychologisch nicht nur fragw�rdig, sondern geradezu ein Widersinn zu sein, eine subjektive Leistung objektiv f�r alle Sch�ler gleich nach festen Urteilskriterien bewerten zu wollen.
Die traditionelle gute oder schlechte Bewertung einer Klausurarbeit erlaubt lediglich die Schlu�folgerung, da� es dem Lehrer gelungen bzw. nicht gelungen ist, eine hinreichende Motivation der Sch�ler zum selbst�ndigen Lernen zu bewirken, oder es besteht schlechthin eine Ankopplungsinkompatibilit�t zwischen Lehr- und Lernersystem, d.h. zwischen der Lernumwelt und dem autopoietischen System des Sch�lers. Im ersten Fall bewertete der Lehrer eher seine eigene Methodenkompetenz, im zweiten Fall sollte ein Klassen- oder Schulwechsel reflektiert werden.
Wenn tats�chlich in einer Pr�fung nur die formulierten Erwartungshaltungen �berpr�ft werden, pr�ft der Lehrer nur wie gut oder genau der Lerner etwas auswendig gelernt hat, nicht aber die Flexibilit�t des Pr�flings. Foerster h�lt diese Art der Wissensabfrage f�r illegitim, zumal die Resultate im Grunde eher den Pr�fer als den Kandidaten pr�ften (Foerster 1993:171). W�re es nicht faszinierend, so exklamiert Foerster, sich ein Erziehungssystem vorzustellen, das die Erziehenden enttrivialisiert, indem es sie lehrt, 'legitime Fragen' zu stellen, d.h. Fragen, deren Antworten noch unbekannt sind? (Foerster, ebd.)
Wenn ein Lehrer versucht, einem Sch�ler etwas gegen dessen Willen beizubringen, wird dieser niemals etwas lernen. Das blo�e Dr�cken der Schulbank hat noch nie einen Gelehrten hervorgebracht, es sei denn einen Brotgelehrten als Tintenfa� voller Gelehrsamkeit.
Prim�res Ziel des Unterrichts sollte es sein, das autopoietische System zu perturbieren. Indem der Lerner sich mit den Stimuli der Au�enwelt, die ihn bedrohen, weil sie sein System in Unordnung bringen, auseinandersetzt, wird die Anzahl der Aktivit�ten der internen Zust�nde gesteigert und die semantische Relationsstruktur bereichert. Der Lerner versucht, seinen strukturdeterminierten Organismus wieder auf der Grundlage seiner Lebenserfahrungen neu zu equilibrieren, indem er einen sinnvollen, d.h. auf das Leben bezogenen Lebensentwurf konstruiert. Gelingt es nicht, die Unterrichtsgegenst�nde so zu pr�sentieren, da� der Lernende sich in Form einer inneren Perturbation ergriffen f�hlt, prallen die Stimuli von ihm ab und k�nnen nicht an das System angekoppelt werden. Der Kognitionsproze� findet nicht statt, und die Unterrichtsinhalte verlieren sich im Nichts.
Wissen kann also erst als gelernt gelten, wenn es vom Lernenden willentlich und intentional konstruiert und dadurch im Ged�chtnis verankert wird, d.h. mit bereits vorhandemem Wissen vernetzt und die jeweils subjektive Bedeutung neu synthesiert wird, so da� das Gelernte f�r den Kommunikationsproze� jeder Zeit verf�gbar ist. Ansonsten bleibt das Erworbene totes Wissen - Treibgut im Ged�chtnis, das im kommunikativen Bedarfsfall nicht funktioniert und leicht von anderen Ged�chtnisbest�nden �berlagert oder weggeschwemmt wird. (R�ck 1999:3) Nur was man sich selbst zu eigen macht, wird guter Besitz. (ebd.) Zur Wissenskonstruktion mu� der Lerner eine intrinsische Motivation entwickeln, indem er sich ein pers�nliches Ziel vor Augen f�hrt und einen sinnvollen pragmatischen oder affektiven Grund f�r seinen Lernproze� erkennt.
Wenn wir dar�ber reflektieren, was wir einmal alles gelernt haben, m�ssen wir uns tats�chlich die Frage stellen, wo dieses Wissen verblieben ist. Es scheint sich aufgel�st zu haben, da es nicht mehr zur Verf�gung steht, und dieses gilt f�r den allergr��ten Teil unserer erworbenen Kenntnisse. Andererseits verf�gen wir �ber eine Unzahl von Kenntnissen, die wir nie bewu�t gelernt, aber assimiliert haben, da sie anscheinend f�r die Erhaltung unseres autodeterminierten Systems von Nutzen waren (Vecchi 1996:5).
Der Lerner begreift nur, was ihn in seiner Pers�nlichkeit ergreift, und es ergreifen ihn nur Gegenst�nde, die ihn in seinem Lebensumfeld als Herausforderung ersch�ttern. Der Unterricht bes��e demnach die Aufgabe, den Lerner zu verunsichern, zu desequilibrieren,� indem er fragen stellte und Paradoxe aufdeckte, antstatt vermeintliche Antworten zu geben und Harmonie vorzut�uschen. Die Sinnkonstruktion wird durch den Zweifel, das Staunen, das Dionysische, das Fremde, das Weite und den Widersinn angeregt und nicht durch das Angebot und den Konsum von fertigen Weltbildern.
Kritikwilligkeit, Infragestellung sowie Ungehorsam und Revolte geh�ren
also nicht zu den Disziplins�nden des Schulalltags, sondern sind ein
Zeichen von Interesse und Neugier, Energie und positivem Konstruktionswillen,
w�hrend blinder Gehorsam Indifferenz und Unselbst�ndigkeit bedeuten
k�nnen. Wir wollen unsere Sch�ler also nicht wie G�nse abf�ttern,
indem wir sie mit unserem Wissen s�ttigen und dadurch tr�ge,
unbeweglich, still und dumm machen, sondern wir wollen ihre Dynamik anregen,
ihren Wissenshunger und Entdeckungsgeist, und sie im Spannungsfeld einer
kompositionsreichen Arbeitsumgebung zur Wissenskonstruktion provozieren.
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Die Trias Lernumgebung-Lerner-Lehrer
Wenn eine direkte, monokausale Fremdsteuerung und Lernerkonditionierung von au�en nicht m�glich ist, weil der Lerner nur das lernt, was er lernen will und mit seiner Autopoiese kompatibel ist, ist Freiheit die erste Voraussetzung f�r Wissenskonstruktion und die Mannigfaltigkeit oder Komplexit�t der Lernsituationen die zweite. Unter Komplexit�t verstehen wir die Totalit�t der Interaktionen zwischen den Elementen eines gegebenen Systems. Je komplexer also die Lernumgebung, desto reicher und anregender die Verbindungen, die der Lerner selbstt�tig eingehen kann, um sich zu bilden. Daher fordert Foerster in seinem ethischen Imperativ, da� man stets so handeln solle, da� weitere Handlungsm�glichkeiten entstehen. (1999:60)
Eine P�dagogik der Komplexit�t befreit den Lerner aus der Zelle eines ihn auf eine gleiche Einheit reduzieren wollenden Fachdenkens und �ffnet das Klassenzimmer auch in der Perspektive eines f�cher�bergreifenden Lernens, das die Vielfalt der Themen und Aufgaben in einem wirklichkeitsbezogenen System vernetzt und das Vorstellungsverm�gen und Denken der Lerner zur Sinnkonstruktion anregt.
Dumpfheit, Phantasielosigkeit, Monotonie, Gleichg�ltigkeit, Sicherheit und Uniformit�t m�ssen also durch Kreativit�t, Forscher- und Erfindungsgeist sowie Problembereitschaft ersetzt werden. Wir servieren weder Essen f�r G�ste noch Rezepte f�r� K�che, sondern stellen nur Nahrungsmittel zur Verf�gung, die jeder nach seinem Geschmack selbstt�tig und aktiv zusammenf�gen und zubereiten mu�.
Nicht Einheit und Konformit�t, sondern Multiplizit�t und Divergenz werden gefordert, um den lebendigen Geist des Lerners zu sich selbst zu f�hren. Dabei ist der Einzelne mit dem Ganzen verbunden und spiegelt die Welt von seinem Standpunkt aus. Da er mit allen interagiert, wirkt auch alles auf ihn in Form einer Retroaktion oder Informationsschleife zur�ck und bewirkt dadurch einen Proze� der Autoformation und Autoorganisation, so pr�sumiert Edgar Morin in seinen philosophischen Reflexionen zur Komplexit�t (Morin 1995).
Der Lerner, den wir nicht als tabula rasa, sondern als energeia oder autopoietisches Potential, d.h. autonome Kraft eines selbstt�tigen, selbststeurenden Subjekts im Sinne einer Monade in konstruktivistischem Gewand definieren, soll die Totalit�t seiner Kr�fte in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Lernwelten konstruieren. Die Selbstkonstruktion im Individuationsproze� setzt dabei nicht nur Freiheit voraus, sondern auch die M�glichkeit des produktiven Einsatzes derselben in der Interaktion mit anderen, da Autonomie ohne Wechselwirkung mit der Welt im Autismus m�ndet. Die Essenz der Lernerautonomie besteht in der Selbstkonstruktion als Emanation der eigenen Kraft im Wechselspiel mit anderen Systemen. Sie setzt eigene Initiative, Selbstverantwortung f�r das Lernen, rekursive Selbstevaluation und das Lernen des Lernens als notwendige Bedingung ihrer Verwirklichung voraus. T�tig wird das Subjekt nicht unter Druck, der eine Ankopplung an das autopoietische System vielmehr verhindert, sondern durch die Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Lernsituationen, die die Neugier und das Interesse des Lerners stimulieren und die zum Lernen notwendige Lust und Grundmotivation hervorrufen.
Dabei darf bzw. soll das Lernen durchaus mit Anstrengung verbunden sein, aber nicht im Sinne einer blinden M�he, sondern einer Herausforderung zur sinnvollen Bew�ltigung einer Lebenssituation. Wenn der Lernende den Nutzen des Lerngegenstandes f�r seine Weltkonstruktion erkennt, wird er seine Kr�fte freiwillig mobilisieren, um sich auf eine Lernreise einzulassen, die sowohl Freuden, Erfolge und �berraschungen als auch Hindernisse, Beschwernisse und Entt�uschungen mit sich bringt.
Es kann sich nicht darum handeln, den Lernproze� steuern oder kanalisieren zu wollen, welches nach konstruktivistischer Auffassung auch gar nicht m�glich w�re, sondern darum, durch die Gestaltung einer positiv-anregenden Lernumgebung einen Selbstlernproze� zu initiieren, die den Lernenden zum eigenen Baumeister seines Wissens erhebt. Die Lernwelt sollte daher �ber ein relevantes Ma� sinnstiftender Anschlu�m�glichkeiten verf�gen, die eine Vielzahl m�glicher Konstruktionen zulassen.
Zur Lernumgebung geh�rt der gesamte unterrichtliche Kontext, angefangen mit der Gestaltung des Klassenzimmers, �ber die Versorgung mit komplexen Materialsammlungen und Medien bis hin zur Einrichtung einer Lernwerkstatt mit m�glichst authentischen und aufgabenorientierten Angeboten, um ein individuelles Lernen an Stationen zu erm�glichen, denn der Lernende, in eine arme und monotone Lernwelt versetzt, bildet sich minder aus.
Authentische Materialien sprechen den Lerner in ihrer inhaltlichen Komplexit�t als ganzen Menschen an, d.h. Kopf, Herz und Hand, da sie nicht in einer didaktischen Reduktion a priori auf die vermeintliche Auspr�gung von Teilkompetenzen hin gefiltert sind. Sie sind von vornherein mehrdeutig und vielschichtig und durch ihre prinzipielle Pluralit�t und Offenheit das genaue Gegenteil einer didaktisch-monistischen Unifikation.
Beim selbst�ndigen Experimentieren mit praxisbezogenen Aufgaben konstruiert der Lerner eigenst�ndig �ber den Umgang mit der verschiedenen Relationalit�t der Elemente und die pers�nliche Relevanz der Inhalte, die er exploriert, eine neue individuelle autopoietische Koh�sion, die das Wissen erst operationell macht. Die Sinnkonstruktion entsteht also dadurch, da� es dem Lerner gelingt, zwischen den einzelnen symboltr�chtigen Zeichen, denen kein Sinn an sich inh�riert, neue Verbindungen zu synthetisieren, die er an sein System ankoppelt, indem er eine Referenz und Vernetzung zu seinem Erfahrungs- und Wirklichkeitsfeld herstellt.
Voraussetzung ist, da� sich der Lerner pers�nlich in die Lernsituation impliziert f�hlt und die neuen Elemente nicht so fremd sind, da� keine Ber�hrungspunkte gefunden werden k�nnen. Der Unterrichtsgegenstand mu� den Lerner in seinen Problemen, Bed�rfnissen und seinen sozialen Interaktionen direkt tangieren, da er nur auf Fragen antworten kann, die er sich selber stellt.
Lernen bedeutet nicht sukzessives Hinzuf�gen oder Addieren von Kenntnissen, nicht Nachvollziehen oder Wiederholen von Erkl�rungsmustern, sondern permanentes Umformen, Modifizieren, Komplexifizieren und die Erfindung von neuen Erkl�rungsmodellen. Die Wissenskonstruktion ist nicht ergebnis-, sondern proze�orientiert und bleibt immer vorl�ufig, da sie einer st�ndigen Ver�nderung untersteht. Denn kann nicht auch die Wahrheit immer nur ein asymptotisches Streben sein? Der Lerngegenstand wird im Unterricht neu modelliert, indem eine gewisse Fusion zwischen Objekt und Subjekt stattfindet und die Lehrinhalte mit dem Geist des Lerners verschmelzen. Lernen bedeutet in diesem Sinne, aus einem Gegenstand etwas anderes zu machen, indem man von sich selber etwas hinzuf�gt.
In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Freinet-P�dagogik wieder an Bedeutung, da der Lernende erst durch den Kontakt mit den anderen in der Interaktion der Gruppe dazu gelangt, seine eigenen Hypothesen �ber die Umwelt zu experimentieren und zu validieren. Tats�chlich ist der Proze� der Hypothesenbildung von eminenter Bedeutung, da selbstbestimmtes Lernen �ber die Formulierung und �berpr�fung von Vermutungen stattfindet und nur durch wechselseitige Kommunikation mit einem Gegen�ber die notwendigen konsensuellen Bereiche geschaffen werden k�nnen.
Einzig in der kreativen Auseinandersetzung mit einem Du k�nnen wir unsere Wirklichkeitskonstruktionen relativieren und durch konsensuelle Welten unsere fundamentale Einsamkeit �berwinden. Als lebende Systeme, so schreibt Maturana, existieren wir in vollst�ndiger Einsamkeit innerhalb der Grenzen unserer individuellen Autopoiese. Nur dadurch, da� wir mit anderen durch konsensuelle Bereiche Welten schaffen, schaffen wir uns eine Existenz, die diese unsere fundamentale Einsamkeit �bersteigt (...) Wir k�nnen uns nicht sehen, wenn wir uns nicht in unseren Interaktionen mit anderen sehen lernen und dadurch, da� wir die anderen als Spiegelungen unserer selbst sehen, auch uns selbst als Spiegelung des anderen sehen (Maturana 1987:117).
Die Form der Bearbeitung der Unterrichtsgegenst�nde ist dabei von sekund�rer Bedeutung, da es sich nicht prim�r um die Entwicklung von Fehlervermeidungsstrategien handelt, sondern um die Erschlie�ung inhaltlich-kultureller Aspekte f�r den Kommunikationsproze�. Die Sch�ler k�nnen an der Gestaltung unterschiedlicher Lernstationen mitwirken, indem sie Materialien zur Verf�gung stellen oder mit und f�r andere aufarbeiten. Das Lernen an Stationen �berl��t dem Sch�ler dar�ber hinaus die M�glichkeit, operationell zu entscheiden, wann er sich mit welchen thematischen Modulen besch�ftigen m�chte.
Der neugierige Handlungsreisende verh�lt sich wie ein Forscher, der eine empirisch-induktive Versuchsreihe zur Verifikation einer These aufstellt oder zur Bew�ltigung eines Problems: Er artikuliert zun�chst genau die zu l�sende Aufgabe, dann sucht er Materialien und Dokumente, formuliert Hypothesen zur L�sung von Problemen oder zur Aufdeckung von Ursachen, stellt Versuchsreihen an, analysiert, synthetisiert� und gelangt schlie�lich zur Verifikation oder Falsifikation seiner Arbeitshypothese, die er nunmehr annimt oder verwirft.
Dabei entwickelt der Lerner unterschiedliche Strategien zur Problembew�ltigung und Einteilung des Lernprozesses, die vom �berblick �ber das Problemfeld �ber die Materialsammlung und -strukturierung zur zeitlichen Organisation der einzelnen Arbeitsschritte f�hren und ein prozedurales Lernverhalten f�r das Leben entwickeln, das sich an kommunikativen Sprachhandlungen, sozialer Interaktion, strategischer Kompetenzentwicklung und pragmatisch-kulturellem Wissen orientiert.
Der Rotationspunkt des Unterrichts ist der Sch�ler und nicht der Lehrer, der in einem Minimum an Zeit ein Maximum an Stoff loswerden mu� und seinen Unterricht demgem�� strukturiert. Zwar steht der Lehrer auch weiterhin f�r die Gestaltung der Rahmenbedingungen in der Verantwortung, aber der Lerner formuliert seine Lernschwierigkeiten und stellt aus eigenem Antrieb echte Wissensfragen, die der Lehrer ihm zu beantworten hilft, indem er ihn bei der Ursachenforschung der Lernprobleme unterst�tzt und m�gliche Wege zur �berwindung anregt. Der Lehrer pr�sentiert also kein Resultat, sondern einen Weg zur Selbstlernkompetenz, der die Lerntechniken und Lernstrategien des Sch�lers in einem authentischen Sachbezug mit wirklichem Interesse am Gegenstand erweitert.
Wissenskonstruktion ist nur m�glich, wenn der Lerner einen realen und pers�nlichen Sinnbezug zum Unterrichtsgegenstand entwickeln kann. Geschieht dieses nicht, ergeben die Lehrinhalte keinen Sinn und k�nnen nicht als gelernte Inhalte assimiliert werden. Die Demotivation des Lerners findet in der Sinnlosigkeit des Lerngegenstandes ihre h�ufigste Ursache und die Faulheit des Lerners in einer reizarmen, anesthesierenden Lernumgebung, die jegliche Neugier abt�tet und Freude und Spa� als St�rung ma�regelt, weil sie als suspekt erscheinen.
Die didaktische Kopernikanische Wende, die durch den Konstruktivismus impliziert wird, stellt den Lerner ins Zentrum der Lernwelten und extrapoliert den Lehrer in eine Fluchtbahn, die den Sch�ler satellitenhaft umkreist, um ihm als facilitator, classrom manager, animateur, sc�nariste, metteur en sc�ne, organisateur, gestionnaire, interlocuteur und conseiller zu beraten. Diese neue Rolle erfordert allerdings eine �ffnung seitens des Lehrers, dessen Hilfe nur in Anspruch genommen werden wird, wenn es ihm gelingt, sich von seiner reinen Funktionalit�t und damit Fremdheit zu l�sen, um dem Lerner ganzheitlich mit seinen Fehlern, seinem Unmut und seinen Freuden gegen�berzutreten und wirkliches Interesse f�r dessen Selbstentfaltung zu entwickeln.
Die Erkenntnis und das Eingest�ndnis der eigenen M�ngel sowie
eine positive P�dagogik des Fehlers als produktiver und notwendiger
Bestandteil eines individualisierten Lernprozesses �ffnen den Unterricht
in der Perspektive einer authentischen Lebensrealit�t, in der reale
Bed�rfnisse mit Lebensbew�ltigungsstrategien sinnvoll interagieren,
um die Dichotomie von Schule und Wirklichkeit zu neutralisieren. Schulisches
Lernen sollte niemals vertikal auf die Beherrschung von hierarchisiertem
Wissen fokussiert sein, sondern auf eine spiralf�rmige Initiierung
von methodischen, interkulturellen, sozialen und medialen Kompetenzen im
Hinblick auf die strategische Entwicklung einer lebenslangen Lernkultur
f�r Beruf und Alltag, unter der Pr�misse, da� der Weg das
Ziel ist. - Non scholae sed vitae discimus.
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